Lösungsmittel

Lösungsmittel

(Weitergeleitet von Lösemittel)

Ein Lösungsmittel (auch Lösemittel oder Solvens) ist ein Stoff, der Gase, Flüssigkeiten oder Feststoffe lösen oder verdünnen kann, ohne dass es dabei zu chemischen Reaktionen zwischen gelöstem Stoff und lösendem Stoff kommt. In der Regel werden Flüssigkeiten wie Wasser und flüssige organische Stoffe zum Lösen anderer Stoffe eingesetzt. Aber auch Feststoffe können andere Stoffe lösen (z. B. wird in Wasserstofftanks von Wasserstoffautos gasförmiger Wasserstoff in festem Metall gelöst).

Lösungsmittel oder Lösemittel

Beide Bezeichnungen finden sich seit über 200 Jahren in der Literatur. Im Forschungs- und Laborbereich hat sich Lösungsmittel etabliert, in der industriellen und technischen Großchemie dagegen Lösemittel. Beispielsweise spricht das Römpp Lexikon Chemie von Lösungsmittel, während die TRGS Lösemittel bevorzugen.

Definition im Alltag

Das meistverwendete Lösungsmittel ist Wasser. Im Hinblick auf Farben, Lacke, Klebstoffe usw. denkt man jedoch bei dem Begriff „Lösungsmittel“ an Stoffe, die unangenehme Gerüche, Gesundheits- und Umweltschäden sowie explosive Dämpfe verursachen können. Gemeint sind hierbei Lösemittel im Sinne der TRGS (Technische Regeln für Gefahrstoffe) 610[1], nach der nur flüchtige organische Lösemittel mit einem Siedepunkt bis 200 °C als Lösemittel bezeichnet werden.

Die "Hochsieder" (Siedepunkt über 200 °C, wenig flüchtige Substanzen) etwa gelten daher rechtlich nicht als Lösemittel. Während "klassische" Lösemittel aufgrund ihrer Flüchtigkeit schon wenige Stunden bis Tage nach der Verarbeitung vollständig verdunstet sind, können die in manchen „lösemittelfreien“ Produkten ersatzweise enthaltenen Hochsieder unter Umständen noch über Monate oder Jahre an die Raumluft abgegeben werden und werden daher teils sogar deutlich kritischer beurteilt als Produkte mit "klassischen" Lösemitteln.[2]

Die Vermeidung von giftigen und/oder umweltschädlichen Substanzen ist Bestandteil der Grünen Chemie.

Chemie

Obwohl das Lösungsmittel in der Regel nicht selbst an der chemischen Reaktion teilnimmt, ist es für chemische Reaktionen sehr wichtig. Die Wirkungen des Lösungsmittels sind unterschiedlich und hängen von der Reaktion ab. Durch die Lösung eines Stoffes in einem Lösungsmittel werden Reaktionen oft erst in endlichen Zeiträumen ermöglicht, da die Stoßhäufigkeiten z. B. in Feststoffen bei niedrigen Temperaturen nicht ausreichend hohe Reaktionsgeschwindigkeiten ergeben. Die wichtigsten Aufgaben des Lösemittels bei chemischen Reaktionen sind

  • konvektiver Wärme- und Stofftransport
  • Stabilisierung von Übergangszuständen der Reaktion
  • Verdünnung zur Vermeidung von Nebenreaktionen

Für die Reinigung und Prozessierung von Reaktionsgemischen (Downstream-Prozess) spielen Lösungsmittel eine weitere wichtige Rolle. Hier seien exemplarisch einige wichtige Verfahrensweisen benannt:

Marktwirtschaftliche Aspekte

Die wichtigste Lösungsmittel-Gruppe sind Alkohole, wie Ethanol, n-Butanol, Isopropanol und Methanol. Im Jahr 2011 wurden hiervon weltweit ca. 6,4 Mio. Tonnen nachgefragt. Einen überdurchschnittlichen Verbrauchsanstieg von jährlich mehr als 3 % wird in der Periode 2011 bis 2019 bei Ethanol sowie bei den Ethern erwartet. Neben den halogenierten Lösungsmitteln, die in Westeuropa und Nordamerika ihren Abwärtstrend fortsetzen, werden auch Aromaten und reine Kohlenwasserstoffe langfristig weiter an Bedeutung verlieren.[3]

Löseeigenschaften

Die quantitative Vorhersage von Löseeigenschaften ist schwierig und entzieht sich oft der Intuition. Es lassen sich generelle Regeln aufstellen, die jedoch nur als grobe Richtschnur gelten können.

Polare Stoffe lösen sich im Allgemeinen gut in polaren Lösemitteln (z. B. Salze in Wasser). Unpolare Stoffe lösen sich im Allgemeinen gut in unpolaren Lösemitteln (z. B. unpolare organische Stoffe in Benzol oder Ether).

Lösungsmittel werden meist nach ihren physikalischen Eigenschaften in Klassen eingeteilt. Solche Einteilungskriterien sind z. B.:

Aprotische Lösungsmittel

Verfügt ein Molekül nicht über eine funktionelle Gruppe, aus der Wasserstoffatome im Molekül als Protonen abgespalten werden können (Dissoziation), spricht man von einem aprotischen Lösungsmittel. Diese stehen den protischen Lösungsmitteln gegenüber.

aprotisch-unpolar

Alkane sind wegen des geringen Unterschieds in der Elektronegativität zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff unpolar. Dies macht alle Stoffe dieser Gruppen ineinander leicht löslich; sie sind sehr lipophil (eigentlich noch lipophiler als die sehr schwach polaren, namensgebenden Fette) und sehr hydrophob (wasserabweisend). Aber nicht nur Wasser kann sich nicht lösen, sondern alle anderen stark polaren Stoffe auch nicht, wie z. B. kurzkettige Alkohole, Chlorwasserstoff oder Salze. In der Flüssigkeit werden die Teilchen lediglich von Van-der-Waals-Kräften zusammengehalten. Deshalb fallen bei dieser Stoffgruppe die Siedetemperaturen im Vergleich zu Molekülgröße und -masse wesentlich niedriger aus als bei permanenten Dipolen. Da eine Abspaltung von Protonen unter Bildung von Carbanionen nur mit extrem starken Basen möglich ist, sind sie aprotisch. Aber auch Lösungsmittel wie Carbonsäureester oder Ether werden zu dieser Gruppe gezählt, obwohl sie polar sind. Entscheidend für die Einteilung ist das Lösevermögen für ionische Verbindungen. Hierfür ist eine hohe Permittivität erforderlich.

Vertreter dieser Gruppe sind:

  • Perfluorierte Kohlenwasserstoffe (z. B. Hexafluorbenzol) stellen eine spezielle Untergruppe dar, da sie nicht nur unpolar, sondern auch sehr schlecht polarisierbar sind, und sich mit den übrigen unpolaren Lösungsmitteln eher schlecht vertragen.

aprotisch-polar

Ist das Molekül jedoch mit stark polaren funktionellen Gruppen wie der Carbonylgruppe, der Nitrogruppe oder der Nitrilgruppe substituiert, so weist das Molekül ein Dipolmoment auf, zwischenmolekular tritt nun also elektrostatische Anziehung dauerhafter Dipole zu den immer noch vorhandenen (aber viel schwächeren) Van-der-Waals-Kräften hinzu. Dies hat eine wesentliche Erhöhung des Siedepunktes zur Folge und in vielen Fällen eine Verschlechterung der Mischbarkeit mit unpolaren Lösungsmitteln sowie eine Verbesserung der Löslichkeit von und in polaren Stoffen. Typische aprotisch-polare Lösungsmittel weisen eine Permittivität über 15 auf[4] und sind in der Lage, Kationen zu solvatisieren. Da die Anionen kaum solvatisiert werden (nackte Anionen), zeigen sie eine hohe SN2-Reaktivität. Derartige Lösungsmittel sind hervorragend geeignet, um nukleophile Substitutionen unter milden Bedingungen durchzuführen. Dazu gehören:

Protische Lösungsmittel

Sobald ein Molekül über eine funktionelle Gruppe verfügt, aus der Wasserstoffatome im Molekül als Protonen abgespalten werden können (Dissoziation), spricht man von einem protischen Lösungsmittel. Diese stehen den aprotischen Lösungsmitteln gegenüber.

Das wichtigste protische Lösungsmittel ist Wasser, das (vereinfacht) in ein Proton und ein Hydroxid-Ion dissoziiert.

Weitere protische Lösungsmittel stellen z. B. Alkohole und Carbonsäuren dar. Hier erfolgt die Abspaltung des Protons immer an der OH-Gruppe, da der elektronegative Sauerstoff die entstehende negative Ladung gut aufnehmen kann.

Das Maß, in dem das jeweilige Lösungsmittel dissoziiert, wird durch die Acidität (nach dem Säure-Base-Konzept von Brønsted und Lowry) bestimmt. Es ist zu beachten, dass auch an Kohlenstoff gebundene Wasserstoff-Atome als Protonen abgespalten werden können (CH-Acidität), die Acidität dieser Verbindungen aber meist zu gering ist, um eine nennenswerte Dissoziation in neutralem Medium zu erlauben. Die Freisetzung dieser Protonen ist nur durch sehr starke Basen möglich.

Polar protische Lösungsmittel lösen Salze und polare Verbindungen, dagegen ist die Löslichkeit unpolarer Verbindungen gering.

Protische Lösungsmittel sind:

Tabelle mit Lösungsmitteln und ihren Daten

Lösungsmittel Schmelzp.
[°C]
Siedep.
[°C]
Flammp.
[°C]
Dichte
[g/cm3]
bei 20 °C
Permittivität
bei 25 °C
Dipolmoment
[· 10−30 Cm]
Brechungsindex
$ n_{\mathrm {D} }^{20} $
$ E_{\tau }(30) $
[kJ/mol]
Kompressibilität
[10−6 /bar]
[5]
Aceton −95,35 56,2 −19 0,7889 20,70 9,54 1,3588 176,4 126
Acetonitril −45,7 81,6 13 0,7857 37,5 (20 °C) 11,48 1,3442 192,3 115
Anilin −6,3 184 1,0217 6,89 (20 °C) 5,04 1,5863 185,2 -
Anisol −37,5 155,4 0,9961 4,33 4,17 1,5179 155,5 -
Benzol 5,5 80,1 −8 0,87565 2,28 0,0 1,5011 142,2 95
Benzonitril −13 190,7 1,0102 (15 °C) 25,20 13,51 1,5289 175,6 -
Brombenzol −30,8 156 1,4950 5,40 5,17 1,5597 156,8 -
1-Butanol −89,8 117,3 34 0,8098 17,51 5,84 1,3993 209,8 -
tert-Butylmethylether (TBME) −108,6 55,3 −28 0,74 ? ? 1,3690 ? -
γ-Butyrolacton −44 204–206 101 1,13 39,1 4,12 1,436 ? -
Chinolin −15,6 238 1,0929 9,00 7,27 1,6268 164,7 -
Chlorbenzol −45,6 132 28 1,1058 5,62 5,14 1,5241 156,8 -
Chloroform −63,5 61,7 1,4832 4,81 (20 °C) 3,84 1,4459 163,4 100
Cyclohexan 6,5 80,7 4,5 0,7785 2,02 (20 °C) 0,0 1,4266 130,4 118
Dibutylether −98 142,5 25 0,764 4,34 (20 °C) 3,9 1,399 187,6 -
Diethylenglycol −6,5 244,3 124 1,1197 (15 °C) 7,71 7,71 1,4475 224,9 -
Diethylether −116,2 34,5 −40 0,7138 4,34 (20 °C) 4,34 1,3526 144,6 -
Dimethylacetamid −20 165 0,9366 (25 °C) 37,78 12,41 1,4380 182,7 -
Dimethylformamid −60,5 153 67 0,9487 37,0 12,88 1,4305 183,1 -
Dimethylsulfoxid 18,4 189 1,1014 46,68 13,00 1,4770 188,1 -
1,4-Dioxan 11,8 101 12 1,0337 2,21 1,5 1,4224 150,0 -
Eisessig 16,6 117,9 42 1,0492 6,15 (20 °C) 5,60 1,3716 214,0 -
Essigsäureanhydrid −73,1 139,5 1,0820 20,7 (19 °C) 9,41 1,3900 183,5 -
Essigsäureethylester −83,6 77,06 −2 0,9003 6,02 6,27 1,3723 159,3 104
Ethanol −114,5 78,3 18 0,7893 24,55 5,77 1,3614 216,9 114
Ethylendichlorid −35,3 83,5 1,2351 10,36 6,2 1,4448 175,1 -
Ethylenglycol −13 197 117 1,1088 37,7 7,61 1,4313 235,3 -
Ethylenglycoldimethylether −58 84 0,8628 7,20 5,70 1,3796 159,7 -
Formamid 2,5 210,5 1,1334 111,0 (20 °C) 11,24 1,4472 236,6 -
n-Hexan −95 68 0,6603 1,88 0,0 1,3748 129,2 150
n-Heptan −91 98 −4 0,684 1,97 0,0 1,387 ? 120
2-Propanol (Isopropylalkohol) −89,5 82,3 16 0,7855 19,92 5,54 1,3776 203,1 100
Methanol −97,8 64,7 6,5 0,7914 32,70 5,67 1,3287 232,0 120
3-Methyl-1-butanol (Isoamylalkohol) −117,2 130,5 0,8092 14,7 6,07 1,4053 196,5 -
2-Methyl-2-propanol (tert-Butanol) 25,5 82,5 9 0,7887 12,47 5,54 1,3878 183,1 -
Methylenchlorid −95,1 40 1,3266 8,93 5,17 1,4242 171,8 -
Methylethylketon (Butanon) −86,3 79,6 0,8054 18,51 (20 °C) 9,21 1,3788 172,6 -
N-Methyl-2-pyrrolidon (NMP) −24 202 245 1,03 32,2 4,09 1,47 -
N-Methylformamid −3,8 183 1,011 (19 °C) 182,4 12,88 1,4319 226,1 -
Nitrobenzol 5,76 210,8 81 1,2037 34,82 13,44 1,5562 175,6 -
Nitromethan −28,5 100,8 35 1,1371 35,87 (30 °C) 11,88 1,3817 193,5 -
n-Pentan −130 36 −49 0,6262 1,358 -
Petrolether/Leichtbenzin -
Piperidin −9 106 0,8606 5,8 (20 °C) 3,97 1,4530 148,4 -
Propanol −126,1 97,2 24 0,8035 20,33 5,54 1,3850 211,9 100
Propylencarbonat (4-Methyl-1,3-dioxol-2-on) −48,8 241,7 1,2069 65,1 16,7 1,4209 195,6 -
Pyridin −42 115,5 23 0,9819 12,4 (21 °C) 7,91 1,5095 168,0 -
Schwefelkohlenstoff −110,8 46,3 −30 1,2632 2,64 (20 °C) 0,0 1,6319 136,3 -
Sulfolan 27 285 43,3 (30 °C) 16,05 1,4840 183,9 -
Tetrachlorethen −19 121 1,6227 2,30 0,0 1,5053 133,3 -
Tetrachlorkohlenstoff −23 76,5 1,5940 2,24 (20 °C) 0,0 1,4601 135,9 110
Tetrahydrofuran −108,5 66 −22,5 0,8892 7,58 5,84 1,4070 156,3 -
Toluol −95 110,6 7 0,8669 2,38 1,43 1,4961 141,7 87
1,1,1-Trichlorethan −30,4 74,1 1,3390 7,53 (20 °C) 5,24 1,4379 151,3 -
Trichlorethen −73 87 1,4642 3,42 (16 °C) 2,7 1,4773 150,1 -
Triethylamin −114,7 89,3 0,7275 2,42 2,90 1,4010 139,2 -
Triethylenglycol −5 278,3 166 1,1274 (15 °C) 23,69 (20 °C) 9,97 1,4531 223,6 -
Triethylenglycoldimethylether (Triglyme) 222 7,5 1,4233 161,3 -
Wasser 0,0 100 0,9982 78,39 6,07 1,3330 263,8 46

Indifferente Lösungsmittel

Unter einem indifferenten bzw. neutralen Lösungsmittel wird in der Polymerchemie ein Medium verstanden, das

  • Abbruch- und Übertragungsreaktionen von Polymerisationen und dadurch auch Polymerisationsgeschwindigkeit und -grad wenig bis nicht beeinflusst.[6]
  • für alle Domänen eines Blockcopolymers gleiche Lösungseigenschaften aufweist (das Gegenteil ist ein selektives Lösungsmittel).[7]

Einzelnachweise

  1. TGRS (baua.de).
  2. Produktgruppe Klebstoffe (lga.de) (Version vom 16. September 2010 im Internet Archive)
  3. Marktstudie Lösungsmittel von Ceresana Research.
  4. Römpp CD 2006, Georg Thieme Verlag 2006.
  5. Agilent Technologies: Tabelle 9: Kompressibilität von Lösungsmitteln. Abgerufen am 24. Januar 2013.
  6. M.D. Lechner, K. Gehrke, E.H. Nordmeier, Makromolekulare Chemie, 4. Auflage, Basel 2010, S. 160.
  7. H.-G. Elias, Makromoleküle Band 1, 5. Auflage, Basel 1990, S. 797.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Lösungsmittel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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