Tabun

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Strukturformel
Strukturformel von (±)-Tabun
1:1-Gemisch aus (R)-Tabun (links) und (S)-Tabun (rechts)
Allgemeines
Name Tabun
Andere Namen
  • (RS)-Dimethylphosphoramido
    cyanidsäureethylester
  • P-Cyano-N,N-dimethyl
    phosphonamidsäureethylester
  • GA
  • Trilon 83
Summenformel C5H11N2O2P
CAS-Nummer 77-81-6 (Racemat)
PubChem 6500
Kurzbeschreibung

farblose bis bräunliche Flüssigkeit mit fruchtigem, bei Erhitzen bittermandelartigem Geruch[1]

Eigenschaften
Molare Masse 162,13 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,08 g·cm−3[2]

Schmelzpunkt

−48 °C[2]

Siedepunkt

246 °C (Zersetzung)[2]

Dampfdruck

8,4 Pa (20 °C)[2]

Löslichkeit

mäßig löslich in Wasser[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [3]
keine Einstufung verfügbar
H- und P-Sätze H: siehe oben
P: siehe oben
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [4][2][5]
Sehr giftig
Sehr giftig
(T+)
R- und S-Sätze R: 26/27/28-40
S: 13-45
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Tabun ist ein Nervenkampfstoff, der 1936 vom deutschen Chemiker Gerhard Schrader, der damals für die I.G. Farben tätig war, entdeckt wurde. Ab 1942 wurde es industriell gefertigt und im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht in Bomben und Granaten verfüllt, jedoch nicht eingesetzt.

Es ist ein Ester einer zweifach substituierten Phosphorsäure und von der Struktur her vielen Pflanzenschutzmitteln (phosphororganischen Insektiziden, wie zum Beispiel Methamidophos) ähnlich. Tabun ist eine farblose bis bräunliche Flüssigkeit mit fruchtigem, bei Erhitzen bittermandelartigem Geruch. Bei seinem Einsatz kann Blausäure entstehen.

Geschichte

40 km nördlich von Breslau, in Dyhernfurth, begannen 1940 die deutsche Wehrmacht und die SS mit dem Bau einer Chemiewaffenanlage, vor allem zur Herstellung von Tabun. Dort wurden etwa 12.000 Tonnen[6] Tabun erzeugt und verarbeitet. Otto Ambros, der Vorstandsvorsitzende der Anorgana GmbH, einer IG-Farben-Gesellschaft, war einer der Hauptverantwortlichen für das Werk.

Nach Kriegsende wurden Wehrmachtsbestände an mit Tabun bestückten Bomben und Granaten in der Ostsee versenkt. Das aus den korrodierten Behältern austretende Gift gefährdet inzwischen den dortigen Fischbestand.

Erst 2008 wurde bekannt, dass 1949 etwa 2,5 Seemeilen (ca. 4,6 km) südlich von Helgoland Granaten mit bis zu zehn Tonnen Tabun versenkt wurden. Insgesamt handelt es sich um rund 90 Tonnen Giftgasgranaten (ca. 6.000 einzelne Granaten), die dort auf dem Grund der Nordsee lagern.[7][8]

Tabun ist der älteste der drei so genannten G-Kampfstoffe (Code: GA, G steht für Germany[5]) neben Soman und Sarin. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die USA und Großbritannien die Fertigung dieses Kampfstoffes. Die Sowjetunion hingegen zeigte kein großes Interesse an Tabun und konzentrierte sich mehr auf Soman. Tabun wurde außerdem von Saddam Hussein im Iran-Irak-Krieg und 1988 gegen die eigene Bevölkerung im kurdischen Nordirak beim Giftgasangriff auf Halabdscha eingesetzt.

Wirkungsweise

Die Aufnahme von Tabun ist über die Haut und die Atmung möglich. Im Körper blockiert Tabun die Acetylcholinesterase, die im Nervensystem den Neurotransmitter Acetylcholin aufspaltet und somit essentiell für die Reizweiterleitung ist.

Es kommt, je nach Stärke der Vergiftung, zu folgenden Symptomen: Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfällen, Augenschmerzen, Müdigkeit, Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, unkontrollierter Harn- und Stuhlabgang, Atemnot, Appetitlosigkeit, Angstzustände, Spannungen, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit. Der Tod tritt durch Atemlähmung ein.

Schutzmaßnahmen

Nervenkampfstoffe wirken bereits in kleinsten Mengen tödlich. Angriffsfläche ist der gesamte Körper. Deshalb bietet nur ein Ganzkörper-Schutzanzug und eine Schutzmaske mit Atemfilter ausreichenden Schutz. Vor einem Kampfstoffeinsatz können Oxim-Tabletten oder Carbamate wie Pyridostigmin oder Physostigmin eingenommen werden.[9][10] Bei einer Vergiftung spritzt man Atropin oder Hyoscyamin (Alkaloid der Tollkirsche), die den Acetylcholinrezeptor blockieren und so die Wirkung des Acetylcholins aufheben.[11] Im Verlauf der wochenlangen Nachbehandlung versucht man mit Obidoxim die AcChE zu regenerieren.

Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel, wie z.B. Chlorkalk, Calciumhypochlorit, alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, wie Aminoalkoholate, verwendet werden, da Nervenkampfstoffe empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln sind und ihre Hydrolyse im basischen Milieu beschleunigt abläuft. Auf empfindlichen Oberflächen kann auch Natriumcarbonatlösung verwendet werden, die jedoch langsamer wirkt.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1  Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.5. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Eintrag zu CAS-Nr. 77-81-6 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 01.01.2008 (JavaScript erforderlich)
  3. Diese Substanz wurde in Bezug auf ihre Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  4. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  5. 5,0 5,1 Günter Hommel, Herbert F. Bender: Handbuch der gefährlichen Güter, Bd.6, Blatt 2284, Springer-Verlag, Dezember 2003, ISBN 3-540-20369-9.
  6. Florian Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus: zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, S. 453–455, Wallstein Verlag 2005, ISBN 978-3-89244-880-8 (Zugriff am 21 October 2011).
  7. Hamburger Abendblatt: 6000 Granaten mit Nervengift vor Helgoland gesucht.
  8. Hamburger Abendblatt: Giftgas vor Helgoland.
  9. Saskia Eckert: Entwicklung eines dynamischen Modells zum Studium der Schutzeffekte reversibler Acetylcholinesterase-Hemmstoffe vor der irreversiblen Hemmung durch hochtoxische Organophosphate (PDF), Dissertation an der Universität München, 2006, S. 1.
  10. Szinicz, L. and Baskin, S. I.: Chemische und biologische Kampfstoffe. In: Lehrbuch der Toxikologie. W. V. mbH. Stuttgart: 865-895, 1999.
  11. Römpp CD 2006, Georg-Thieme-Verlag 2006.

Siehe auch

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