Benfluorex

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Strukturformel
Benfluorex.svg
Allgemeines
Freiname Benfluorex
Andere Namen

(RS)-2-({1-[3-(Trifluormethyl)phenyl]propan-2-yl}amino)ethylbenzoate

Summenformel C19H20F3NO2
CAS-Nummer
  • 23642-66-2
  • 23602-78-0 (Hydrochlorid)
PubChem 2318
ATC-Code

A10BX06

Arzneistoffangaben
Wirkmechanismus

Serotoninagonist

Verschreibungspflichtig: Ja
Eigenschaften
Molare Masse 351,4 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [1]

Hydrochlorid

keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze [1]
LD50

2300 mg·kg−1 (Maus p.o.)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Benfluorex ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Phenylalkylamine, der als Lipidsenker zur Reduktion der Blutfettwerte und zur Gewichtsreduktion beim Diabetes mellitus von Typ II in einigen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich, Spanien und Italien, jedoch nicht in Deutschland, zugelassen war. Darüber hinaus wurde Benfluorex häufig als Appetitzügler eingesetzt. Auf Grund eines gehäuften Auftretens von Herzklappenschäden wurde Benfluorex im Jahr 2009 auf Veranlassung der Europäischen Arzneimittelagentur zurückgerufen. Allein in Frankreich werden mindestens 500 Todesfälle in einem möglichen Zusammenhang mit dem Benfluorex-haltigen Arzneimittel Mediator gesehen.[2] Diese Todesfälle sowie das Verhalten der französischen Arzneimittelbehörde Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé und des Herstellers Servier führten zum sogenannten Mediator-Skandal.

Klinische Angaben

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Benfluorex war ursprünglich als Lipidsenker zur Behandlung der Hypertriglyceridämie und zur Gewichtsreduktion beim Diabetes mellitus von Typ II in Frankreich und in weiteren Ländern zugelassen worden. Außerhalb der Indikation wurde Benfluorex häufig als Appetitzügler bei Nicht-Typ-II-Diabetikern eingesetzt. Spätestens mit der Beurteilung der Europäischen Arzneimittelagentur besteht für die Anwendung von Benfluorex keine medizinische Indikation mehr.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Unter der Anwendung von Benfluorex konnten insbesondere unspezifische Nebenwirkungen des Magen-Darm-Systems, wie Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen und Durchfall, sowie Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Schwindel beobachtet werden. In sehr seltenen Fällen traten allergische Reaktionen, Schock, Hypotonie, Hautausschlag, Nesselsucht und Quincke-Ödeme auf. Des Weiteren wurde Benfluorex mit Fällen von erhöhten Leberenzymwerten sowie Fällen von Orientierungs- und Wahrnehmungsstörungen assoziiert.

Benfluorex wurde mit einem gehäuften Auftreten von Herzklappenschäden, sowie mit einer Häufung von Fällen von pulmonaler Hypertonie und Fibrosen des Herzes in Verbindung gebracht. Nach Analyse des französischen Gesundheitsministeriums war der Arzneistoff bei mindestens 500 der etwa 5 Millionen mit dem Medikament Mediator behandelten französischen Patienten möglicherweise für den Tod verantwortlich. Andere Schätzungen gehen von bis zu 2000 Todesfällen in Frankreich aus.[2]

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Benfluorex gleicht in seiner Wirkweise dem früher ebenfalls als Appetitzügler genutzten und auf Grund von Herzklappenschäden und dem Auftreten von pulmonaler Hypertonie vom Markt genommenen Fenfluramin. Benfluorex wirkt im menschlichen Körper als ein Prodrug, das seine Wirkung nach einer Verstoffwechslung zu dem aktiven Metaboliten Norfenfluramin entfaltet.[3] Dieser Metabolit erhöht zum einen die Freisetzung von Serotonin in den Extrazellularraum und wirkt zum anderen als Agonist an verschiedenen Serotoninrezeptoren, darunter 5-HT2C und 5-HT2B.[4] Während eine Stimulation von 5-HT2C-Rezeptoren mit der appetitzüglenden Wirkung in Verbindung gebracht wird, können die Veränderungen im Bereich des Herzes und der Lungengefäße, welche zu Fibrosen, Herzklappenschäden und pulmonaler Hypertonie führen können, auf eine Aktivierung von 5-HT2B-Rezeptoren zurückgeführt werden.[5]

Geschichte

In den 1960er Jahren führte das Pharmaunternehmen Servier Untersuchungen zur Entwicklung neuer Arzneistoffe auf der Basis der appetitzügelnden Amphetamine durch. Dieses Projekt führte unter anderem zu den Arzneistoffen Fenfluramin und Benfluorex. 1976 wurde Benfluorex in Frankreich unter dem Namen Mediator auf den Markt gebracht. Darüber hinaus wurde es auch in weiteren europäischen, asiatischen und afrikanischen Ländern in der Therapie eingesetzt. In den 1980er und 1990er Jahren geriet Fenfluramin im Gegensatz zu Benflurex auf Grund schwerer Nebenwirkungen, darunter Herzklappenschäden und pulmonale Hypertonie, zunehmend in die Therapiekritik. Der Fenfluramin-Metabolit Norfenfluramin, der später als Ursache dieser Nebenwirkungen identifiziert wurde, war zu diesem Zeitpunkt auch als ein Hauptmetabolit von Benfluorex bekannt.[6] Während Fenfluramin 1997 auf Grund dieser schweren Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde, konnte Mediator in Frankreich nach einem zweimonatigen Ruhen der Zulassung weiter vertrieben werden. Nach dem Rückruf von Fenfluramin wurde Mediator außerhalb der Zulassung vermehrt als Appetitzügler eingesetzt. 1998 ordnete die französische Arzneimittelbehörde ein Überwachungsprogramm für Mediator an. In den folgenden Jahren wurden dem Medikament Fälle von Aorteninsuffizienz und pulmonaler Hypertonie zugeschrieben.[7] 2003 wurde erstmals der Wirkstoff in einem direkten Zusammenhang mit Herzklappenschäden gebracht.[8] In den folgenden Jahren häuften sich Verdachtsberichte, dass Benfluorex, wie auch zuvor für Fenfluramin beobachtet, für Herzklappenschäden verantwortlich sein kann. Um einem folgenreichen Zulassungswiderruf zu entgehen, verzichtete Servier 2003 auf die fällige Nachzulassung von Mediator in Spanien und Italien. Als Ergebnis eines Überwachungsprogramms schränkte 2007 die französische Arzneimittelbehörde die Indikationen für Mediator ein. 2009 erfolgte auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur eine Marktrücknahme durch die französische Arzneimittelbehörde. Im folgenden Jahr widerrief die Europäische Arzneimittelagentur schließlich die Zulassung von Mediator.

Literatur

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Datenblatt Benfluorex hydrochloride, bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 4. Dezember 2012.
  2. 2,0 2,1 Reuters: [Europäischen Arzneimittelagentur French judges probe maker of discredited pill]. Abgerufen am 10. November 2011.
  3. Boutet K, Frachon I, Jobic Y, et al.: Fenfluramine-like cardiovascular side-effects of benfluorex. In: Eur. Respir. J.. 33, Nr. 3, März 2009, S. 684–8. doi:10.1183/09031936.00086308. PMID 19251806.
  4. Fitzgerald LW, Burn TC, Brown BS, et al.: Possible role of valvular serotonin 5-HT(2B) receptors in the cardiopathy associated with fenfluramine. In: Mol. Pharmacol.. 57, Nr. 1, Januar 2000, S. 75–81. PMID 10617681.
  5. Rothman RB, Baumann MH, Savage JE, et al.: Evidence for possible involvement of 5-HT(2B) receptors in the cardiac valvulopathy associated with fenfluramine and other serotonergic medications. In: Circulation. 102, Nr. 23, Dezember 2000, S. 2836–2841. PMID 11104741.
  6. B.H. Gordon (1993) The pharmacokinetics of the metabolites of benfluorex in chronic administration [...in human volunteers Servier Report No. 93-5792-001]
  7. Eric Favereau: Mediator, coupe-faim dangereux et longtemps toléré. In: Libération. 16. November 2010.
  8. Rafel Ribera J, Casañas Muñoz R, Anguera Ferrando N, Batalla Sahún N, Castro Cels A, Pujadas Capmany R: Valvular heart disease associated with benfluorex. In: Rev Esp Cardiol. 56, Nr. 2, Februar 2003, S. 215–216. PMID 12605770.
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