Anorganische Chemie

Anorganische Chemie

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Caesiumchlorid ist Vorbild für andere Kristallstrukturen

Die anorganische Chemie (kurz: AC) oder Anorganik ist die Chemie aller kohlenstofffreien Verbindungen sowie einiger Ausnahmen (siehe Anorganische Stoffe). Ein Grenzgebiet zur organischen Chemie sind die Organometallverbindungen. Während die Organische Chemie diese nur als Hilfsmittel oder Reagenz benutzt, betrachtet die anorganische Chemie die Koordinationschemie der Metalle.

Historisch beschäftigte sich die anorganische Chemie mit Stoffen, die nicht von organischem Leben durch Lebenskraft erzeugt werden. Seit der Harnstoffsynthese 1828 von Friedrich Wöhler, bei der die organische Substanz Harnstoff aus der anorganischen Verbindung Ammoniumcyanat hergestellt wurde, verwischen sich die Grenzen zwischen Stoffen aus der unbelebten (den „anorganischen“ Stoffen) und der belebten Natur (den „organischen“ Stoffen). So stellen Lebewesen auch eine Vielzahl anorganischer Stoffe her, während im Labor inzwischen fast alle organischen Stoffe hergestellt werden können. Gleichwohl ist die moderne Unterscheidung nach wie vor sinnvoll, da sich die Reaktionsmechanismen und Stoffstrukturen in der Anorganik und Organik vielfach unterscheiden.

Geschichtliches zur anorganischen Chemie

Viele anorganische Stoffe und einige anorganische Stoffumsetzungen waren bereits im Altertum bekannt. Die Metallgewinnung aus Erzen (Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Quecksilber), das Töpfergewerbe, die Glasbereitung (Ägypten), die Porzellanherstellung (China), die Mineralfarben (Bleiweiß, Menninge, Grünspan, Zinnober, Auripigment), der Schwefel zum Räuchern, der Kalk (als Mörtel für Wohnbauten), Salze wie Kochsalz (zur Speisebereitung), Soda (zur Herstellung von Glas und Seifen), Salpeter (als Heilmittel), Alaun (in Gerbereien).

Im alchemistischen Zeitalter, im 13. Jahrhundert, wurden Herstellungsmethoden zur Gewinnung von Schwefelsäure, verdünnter Salzsäure, Salpetersäure (Scheidewasser zur Auflösung von Silber aus Gold-Silberlegierungen) und Königswasser (Salz- und Salpetersäure zur Auflösung von Gold) von arabischen Alchemisten (Pseudo-Geber-Schriften) bekannt. Die Herstellungsverfahren von Säuren wurden später durch Johann Rudolph Glauber um 1650 deutlich verbessert, weiterhin entwickelte er ein Verfahren zur Gewinnung rauchender Salzsäure.

Robert Boyle entwickelte in seinem Hauptwerk „The Sceptical Chemist“ in Abkehr zu den aristotelischen Theorien der Alchemie eine Hinwendung zu experimenteller Forschung und Schlussfolgerungen auf Basis von Experimenten. Bedeutsam war seine These, dass die chemischen Elemente aus unzerteilbaren, gleichen, kleinen Atomen, chemische Verbindungen aus einer Vielzahl von kleinen, unterschiedlichen Elementen zusammengesetzt sind.

Georg Ernst Stahl und Johann Joachim Becher entwickelten um 1700 die Phlogistontheorie. Mit dieser Theorie, die sich 80 Jahre später als unrichtig herausstellte, konnten Verbrennungsvorgänge, Oxidationen und Reduktionen sowie die Gärung chemisch gedeutet werden. Ursache für die Fehldeutungen der Phlogistontheorie war ein damals noch unbekannter Stoff (Sauerstoff) in der Luft.

Joseph Priestley machte Studien mit der Luft und erkannte, dass in der Luft ein Stoff enthalten ist, der für Atmungsvorgänge fördert und die Oxidation von Metallen zu Metalloxiden begünstigt. Aus Erhitzen von Quecksilberoxyd konnte Priestley den Stoff - der Atmungs- und Verbrennungsvorgänge fördert - gasförmig gewinnen und auch den Gehalt dieses Stoffes in der Luft bestimmen. Erst Antoine Laurent de Lavoisier zog aus den Erkenntnissen von Priestley die Schlussfolgerung, dass dieser neu entdeckte Stoff (Sauerstoff) ein Element sein musste. Durch Lavoisiers Schlussfolgerungen wurde die Theorie der Elemente von Boyle bestätigt und die Elemente als eine Vielzahl gleicher, unteilbarer Atome betrachtet. Eine chemische Verbindung enthält mehrere unterschiedliche Elemente. Als reine Elemente wurden die Metalle wie Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Zink sowie die nichtmetallischen Elemente Phosphor, Schwefel, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff eingeordnet. Lavoisier erkannte ferner, dass bei jeder Stoffumsetzung die Summe der Gewichte von Ausgangs- und Endprodukten gleich bleibt (Massenerhaltungsgesetz). Die alten, alchemistischen Bezeichnungen von anorganischen Stoffen, wurde durch eine rationale Bezeichnung mit den jeweiligen elementaren Bausteinen des Stoffgemisches geändert. Die Oxidationstheorie nach Lavoisier stellte eine bahnbrechende Neuerung in der Chemie dar, die nachfolgenden Chemikern mussten nun die reinen Elemente auffinden.

Nahezu zeitgleich erfolgte die Entdeckung des Stroms durch Luigi Galvani und Alessandro Volta. Durch diese Voltasche Säule ließ sich das Wasser in die Elemente Sauerstoff- und Wasserstoffgas zersetzen und die Zusammensetzung des Wassers durch Volumen- und Gewichtsbestimmung der beiden Gase genau bestimmen.

Humphry Davy konnte mit der Voltaschen Säule Natrium und Kalium als neue Elemente abscheiden. John Dalton stellte eine erste – noch sehr ungenaue - Atomgewichtstabelle für Elemente zusammen, Jöns Jacob Berzelius konnte erstmalig sehr genaue Angaben zu den Atomgewichten der Elemente machen und entwickelte auch die Formelsprache mit den ein oder zwei lateinischen Buchstaben zur Kennzeichnung der Elemente und bezog die relativen Atomgewichte auf den Sauerstoff als Bezugspunkt. Amedeo Avogadro stellte die Hypothese auf, dass in gleichgroßen Räumen und bei gleicher Temperatur immer die gleiche Teilchenzahl eines Gasen vorhanden sein muss.

In der Folgezeit gehörte die Suche nach neuen chemischen Elementen, die Bestimmung ihrer exakten relativen Atomgewichte und ihre Charakterisierung durch Reaktionen mit anderen Stoffen zu den wichtigsten Aufgaben der anorganischen Chemiker.

Joseph Louis Gay-Lussac entwickelte die Titration und konnte den quantitativen Gehalt einzelner Elemente in einer anorganischen Verbindung bestimmen. Später wurde auch die elektrogravimetrische Abscheidung zur Gehaltsbestimmung von Mineralproben genutzt. Robert Bunsen verbesserte die Methode der Stromerzeugung durch die Entwicklung einer Zink-Kohle-Batterie. In seinem Labor konnten die neuen Elemente Magnesium, Chrom und Strontium gewonnen werden. Die von Bunsen entwickelte Spektralanalyse führte zur Entdeckung der Elemente Cäsium und Rubidium, später durch William Ramsay auch des Heliums.

Lothar Meyer und Dimitri Mendelejew sortierten die chemischen Elemente nach Atomgewicht und Bindungsfähigkeit in einem Periodensystem. So konnten leichter Voraussagen zum chemischen Verhalten von Elementen getroffen werden und noch unbekannte Elemente im System aufgesucht werden.

Svante Arrhenius, Jacobus Henricus van't Hoff und Wilhelm Ostwald bestimmten die Dissoziation von Salzen, Säuren und Basen in wässrigen Lösungen in Ionen.

Anorganische Stoffe

Zu den anorganischen Stoffen werden traditionell die Elemente und alle Verbindungen gezählt, die keinen Kohlenstoff enthalten.

Dazu kommen einige Ausnahmen von Kohlenstoffverbindungen, die genau wie typische anorganische Stoffe aufgebaut sind oder historisch der Anorganik zugeordnet werden. Hierzu gehören die wasserstofffreien Chalkogenide des Kohlenstoffs (Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid, Schwefelkohlenstoff), die Kohlensäure und Carbonate, die Carbide sowie die ionischen Cyanide, Cyanate und Thiocyanate. Die Blausäure gilt als Grenzfall und wird sowohl in der Organik als auch Anorganik behandelt. Obwohl man sie traditionell zur anorganischen Chemie zählen würde, wird sie als Nitril (organische Stoffgruppe) der Ameisensäure aufgefasst.

Die anorganischen Stoffe kann man in mehrere große Stoffgruppen aufteilen. Dies sind:

Metalle und Halbmetalle: Zu den Metallen zählt ein Großteil der Elemente des Periodensystems (zirka 80 %). Gemeinsame Metalleigenschaften sind die Leitfähigkeit für Wärme und Strom. Beispiele für Metalle sind Eisen und Natrium. Halbmetalle haben sowohl metallische als auch nichtmetallische Eigenschaften. Sie stehen im Periodensystem zwischen Metallen und Nichtmetallen. Beispiele sind Silicium und Germanium.

Intermetallische Verbindungen, die so genannten Legierungen sind Verbindungen der Metalle untereinander. Sie werden wegen spezieller Eigenschaften (beispielsweise besondere Härte oder Zähigkeit) hergestellt. Bekannte Legierungen sind Bronze (aus Kupfer und Zinn), Messing (aus Kupfer und Zink) und Stahl (Eisenlegierungen mit unterschiedlichen Beimischungen).

Salze: Salze sind ionisch aufgebaut und bestehen aus positiv geladenen Kationen und negativ geladenen Anionen. Kationen sind meist Metallionen, Anionen meist Nichtmetallionen. Bekannte Salze sind Natriumchlorid Na+Cl und die Oxide, bei denen Sauerstoff (O2−) das Anion ist.

Nichtmetallverbindungen, die keinen Kohlenstoff enthalten: Dies sind kovalent aufgebaute Verbindungen, die von Nichtmetallen (zum Beispiel Sauerstoff oder Stickstoff) untereinander gebildet werden. Die bekannteste dieser Verbindungen ist Wasser (H2O). Von den kovalenten Kohlenstoffverbindungen zählen nur sehr wenige, die keinen Wasserstoff enthalten zur anorganischen Chemie (wie Kohlenstoffmonoxid und Kohlendioxid), alle anderen zur organischen Chemie.

Schematische Darstellung des Hexacyanidoanion-Komplexes in Blutlaugensalzen

Komplexe: Komplexe sind Verbindungen, die aus einem Metallzentrum und mehreren es umgebende Liganden besteht, die über Koordinative Bindungen miteinander verknüpft sind. Komplexe werden häufig von Übergangsmetallen, wie Nickel oder Cobalt gebildet und sind häufig farbig.

Cluster: Verbindungen von Metallen oder auch Nichtmetallen, die in ihrer Größe zwischen den kleinen Nichtmetallverbindungen oder Komplexen und den großen metallischen Festkörpern liegen.

Anorganische Verbindungen sind meist periodisch oder aus einer geringen Anzahl Atomen aufgebaut. Metalle, Legierungen und Salze sind periodisch aufgebaut und bilden Kristalle; statt einer Summenformel kann man nur eine Verhältnisformel angeben. Anorganische kovalente Verbindungen sind – im Gegensatz zu den meisten organischen Verbindungen – meist klein und nur aus wenigen Atomen aufgebaut. Höhermolekulare Verbindungen gibt es selten, beispielsweise in der Silicium-Chemie (Silane).

Anorganische Reaktionen

In der anorganischen Chemie spielt eine Vielzahl von Reaktionen eine Rolle. Die wichtigsten darunter sind die Redox-Reaktionen und die Säure-Base-Reaktionen. Diese Reaktionen sind immer Gleichgewichtsreaktionen, allerdings liegt das Gleichgewicht bei diesen Reaktionen häufig sehr stark auf einer Seite und es gibt eine hohe Reaktionsenthalpie. Dadurch sind viele Reaktionen in der Anorganik schnell und erreichen eine hohe Ausbeute. Im Gegensatz dazu sind in der organischen Chemie viele Reaktionen langsame Gleichgewichtsreaktionen, die nicht immer hohe Ausbeuten erreichen.

Bei Redox-Reaktionen werden Elektronen von einem Reaktionspartner auf den anderen übertragen. Typische Redoxreaktionen sind Reaktionen von Elementen zu Verbindungen. Die bekanntesten Redoxreaktionen sind die Knallgasreaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser und die Korrosion, bei der unedle Metalle (beispielsweise Eisen) mit Sauerstoff zu Oxiden reagiert.

Säure-Base-Reaktionen sind Reaktionen, bei denen Protonen übertragen werden. Die Säure gibt dabei an die Base (auch: Lauge) ein Proton ab. Bei Säure-Base-Reaktionen bildet sich meist Wasser und ein Salz (das bekannteste Beispiel ist die Reaktion von Salzsäure mit Natronlauge zu Natriumchlorid und Wasser). Da diese Reaktionen sehr schnell ablaufen und mit Indikatoren genau überprüft werden können, spielen sie eine große Rolle in der Analytischen Chemie.

In der anorganischen Chemie ist die Bildung unlöslicher Salze oder gasförmiger Verbindungen eine wichtige Triebkraft für Reaktionen, weil dabei Reaktionsprodukte das Gleichgewicht verlassen und somit die Reaktion vollständig in nur eine Richtung geht. So wird beim Zusammengießen einer Bariumchloridlösung und reichlich Natriumsulfatlösung in einer Fällungsreaktion sehr schwerlösliches Bariumsulfat ausgefällt, und zwar so vollständig, dass nach Abfiltrieren des Bariumsulfates keine Bariumionen mehr in der verbleibenden Natriumchloridlösung nachgewiesen werden können:

$ \mathrm {BaCl_{2}+Na_{2}SO_{4}\longrightarrow BaSO_{4}+2\ NaCl} $

Als Beispiel für eine gerichtete Gleichgewichtsreaktion aufgrund entweichender Gase ist die Umsetzung von Ammoniumchlorid mit Natronlauge zu flüchtigem Ammoniak:

$ \mathrm {NH_{4}Cl+NaOH\longrightarrow NH_{3}+H_{2}O+NaCl} $

Solche Reaktionen spielen in der analytischen Chemie ebenfalls eine wichtige Rolle.

Verschiedene anorganische Verbindungen können bei höheren Temperaturen zerfallen, indem Gase entweichen. Ein Beispiel ist das Kalkbrennen, bei dem aus Calciumcarbonat Kohlendioxid entweicht und Calciumoxid zurückbleibt.

Teilgebiete der anorganischen Chemie

Technische Anwendungen

Die anorganische Chemie ist Basis vielfältiger technischer Anwendungen, beispielsweise

Anorganische Chemie in Schule und Studium

Schule

Im Schulunterricht bekommt der Schüler im Bereich der anorganischen Chemie Grundlagen der Atomtheorie, des chemischen Verhaltens von Elementen, die Oxidationszahlen der Elemente, die Eigenschaften von anorganischen Salzen (Farbreaktionen, Löslichkeiten), Fällungsreaktionen, die Ionentheorie, Säure-Base-Reaktionen, Gehaltsbestimmung durch Titration, Redox-Reaktionen, Elektrolysen und wichtige technische Verfahren geboten.

Studium

Im Studium wird das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten in der anorganischen Chemie gelehrt. Der Chemiestudent lernt die Nachweisreaktionen für Kationen und Anionen aus unbekannten Proben kennen. Das Praktikum der anorganisch-analytischen Chemie teilt sich in die qualitative und quantitative Analyse von anorganischen Stoffen. Weiterhin wird die präparative Darstellung von anorganischen Stoffen gelehrt. Der Student lernt dabei die Beobachtungsgabe zu schärfen, sorgfältig zu arbeiten und methodisch, kombinatorisch zu denken.

Literatur

  • A. F. Holleman, E. Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 102. Aufl., de Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-017770-1
  • D. F. Shriver, P. W. Atkins, C. H. Langford: Anorganische Chemie, 2. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 1997, ISBN 978-3-527-29250-9
  • J. Huheey, E. Keiter, R. Keiter: Anorganische Chemie - Prinzipien von Struktur und Reaktivität, 3. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin - New York 2003, ISBN 3-11-017903-2

Übungsbücher

  • Ehrhard Uhlemann, Gerhard Röbisch: Fragen und Aufgaben zur Chemie. 3. Auflage. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften. Berlin 1988, ISBN 3-326-00275-0

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Anorganische Chemie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikibooks Wikibooks: Anorganische Chemie für Schüler – Lern- und Lehrmaterialien
Wikibooks Wikibooks: Allgemeine und Anorganische Chemie – Lern- und Lehrmaterialien
Wikibooks Wikibooks: Praktikum Anorganische Chemie – Lern- und Lehrmaterialien


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