Tioguanin

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Strukturformel
Struktur von Tioguanin
Allgemeines
Freiname Tioguanin
Andere Namen
  • 6-Thioguanin (6-TG)
  • 2-Amino-3,7-dihydropurin-6-thion
  • 2-Amino-6-mercaptopurin
  • 2-Aminopurin-6-thiol
  • 2-Aminopurin-6(1H)-thion
Summenformel C5H5N5S
CAS-Nummer 154-42-7
PubChem 152248
ATC-Code

L01BB03

DrugBank DB00352
Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Zytostatikum

Wirkmechanismus

Purinanalogon

Verschreibungspflichtig: Ja
Eigenschaften
Molare Masse 167,2 g·mol−1
Schmelzpunkt

>360 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [2]
06 – Giftig oder sehr giftig

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301
P: 301+310 [2]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [3][1]

T
Giftig
R- und S-Sätze R: 25-68
S: 36/37-45
LD50

160 mg·kg−1 (Maus, peroral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Tioguanin (INN), 6-Thioguanin (6-TG) (Handelsname: Lanvis, Hersteller: GlaxoSmithKline), ist ein Analogon der Nukleinbase Guanin und ein Arzneistoff, der als Zytostatikum in der Chemotherapie zur Behandlung von Krebserkrankungen verwendet wird. Tioguanin gehört zur Gruppe der Antimetabolite. Es ist ein fahlgelbes, kristallines Pulver ohne Eigengeruch.

Wirkungsmechanismus

6-Thioguanin ist ein Thio-Analogon der natürlich vorkommenden Purinbase Guanin. 6-Thioguanin konkurriert mit Hypoxanthin und Guanin um das Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRTase). Durch die HGPRTase wird Thioguanin in 6-Thioguanylphosphat (TGMP) umgewandelt. Hohe Konzentrationen von TGMP werden intrazellulär akkumuliert und behindert an mehreren Stellen die Synthese von Guanin-Nukleotiden. Die Purin-Biosynthese wird durch eine Inhibition des Enzyms Glutamin-5-phosphoribosylpyrophosphat-Amidotransferase gestört. TGMP blockiert auch die Umwandlung von Inosinphosphat zu Xanthinphosphat durch Konkurrenz um das Enzym Inosinphosphatdehydrogenase.

Thioguanylphosphat (TGMP) wird durch Phosphorylierung zur Di- und Triphosphaten umgewandelt: Thioguanindiphosphat (TGDP) und Thioguanintriphosphat (TGTP). Gleichzeitig werden auch 2-Desoxyribosyl-Analoge durch die gleichen Enzyme gebildet, welche auch die Guanin-Nukleotide verstoffwechseln. Die Thioguanin-Nukleotide werden anschließend über Phosphodiesterverbindungen in die DNA und RNA eingebaut. Hier wirken sie als „falsches“ Nukleotid und interferieren mit der DNA-Replikation.

Zusammenfassend wirkt 6-Thioguanin über eine Inhibition der Purin-Biosynthese, durch Inhibition der Umwandlung von Purin-Nukleotiden und durch Einbau in die DNA und RNA im Sinne einer „sequentiellen“ Blockade der Synthese und Verwertung der Purin-Nukleotide. Thioguanin wirkt spezifisch in der S-Phase des Zellzyklus; bei ruhenden Zellen (G1-Phase des Zellzyklus) wirkt Tioguanin nicht.

Eine zusätzliche Wirkung entstammt dem Einbau von 6-Thioguanin in die RNA. Hier ergibt sich ein veränderter RNA-Strang, der durch die Ribosomen nicht mehr abgelesen werden kann. Somit entfällt die Produktion (Synthese) des durch die so veränderte RNA ursprünglich kodierten Proteins.

Pharmakokinetik und Metabolisierung

Eine einzelne perorale Dosis von Tioguanin wird nur sehr unvollständig und mit interindividuell hoher Variabilität aufgenommen. Die Bioverfügbarkeit von Tioguanin beläuft sich im Mittel auf 30 % (Spanne 14–46 %). Die maximale Konzentration im Plasma nach einer einzelnen Dosis peroral wird nach 8 Stunden erreicht.

Tioguanin wird in die DNA und RNA menschlicher Knochenmarkzellen eingebaut. Studien mit radioaktiv markiertem Tioguanin zeigten, dass 5 Tagesdosen Tioguanin zu einer 100-fach höheren Anreicherung von Tioguanin in der DNA und RNA als eine einzelne Tagesgabe Tioguanin. Bei 5 Tagesdosen Tioguanin wird 50 % bis fast 100 % aller Guanin-Nukleotide durch Tioguanin ersetzt. Tioguanin selbst kann nach aktuellem Wissensstand die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Tioguanin konnte im Liquor cerebrospinalis (Nervenwasser) nicht nachgewiesen werden, wie auch die strukturell eng verwandte Substanz 6-Mercaptopurin nicht in das Gehirn eindringen kann.

Die Plasmahalbwertzeit von Tioguanin ist sehr kurz. Grund hierfür ist die schnelle Aufnahme von Tioguanin in die Zellen sowie die schnelle Einschleusung von Tioguanin in die Auf- und Abbaustoffwechselwege von Purinen. Die Metabolite von Tioguanin können daher auch nachgewiesen werden, wenn Tioguanin aus dem Plasma eliminiert ist.

Tioguanin wird vorwiegend über die Nieren im Urin ausgeschieden. Es findet sich allerdings kaum unverändertes Tioguanin im Urin; vielmehr ist 2-Amino-6-methylthiopurin als Metabolit von Tioguanin nachzuweisen. Die mediane Plasmahalbwertzeit von Tioguanin wird mit 80 Minuten (bei einer Spanne von 25-240 Minuten) angegeben.

Tioguanin wird auf zwei Wegen metabolisiert. Ein Abbauweg ist die Desaminierung durch Guanase zu 6-Thioxanthin, welches nur minimale antineoplastische Aktivität hat. Dieser Stoffwechselpfad hängt nicht von der Effektivität der Xanthinoxidase ab, so dass Allopurinol als Hemmstoff der Xanthinoxidase nicht wie beim Mercaptopurin den Abbau von Tioguanin blockiert. Ein weiterer Abbauweg ist die Methylierung von Tioguanin zu 2-Amino-6-methylthiopurin, welches minimal antineoplastisch wirksam und deutlich weniger toxisch als Tioguanin ist. Auch dieser Abbauweg ist unabhängig von der Enzymaktivität der Xanthinoxidase.

Wechselwirkungen

Tioguanin ist kreuzresistent mit Mercaptopurin. Krebserkrankungen, welche auf eine Behandlung mit Mercaptopurin nicht ansprechen, sprechen auch auf Thioguanin nicht an.

Bei gleichzeitiger Anwendung von Busulfan tritt vermehrt Hepatotoxizität in Form von Leberschäden, Ösophagusvarizen und portaler Hypertension auf (schwere Leberschädigung). Der Mechanismus hierfür ist unbekannt.

Im Gegensatz zu Mercaptopurin wird der Abbau von Thioguanin durch Allopurinol nicht behindert.

Anwendungsgebiet(e)

Erwachsene

  • Akute lymphoblastische Leukämie
  • Akute myeloische Leukämie
  • Chronische myeloische Leukämie
  • Psoriasis

Kinder und Jugendliche

  • Akute lymphoblastische Leukämie
  • Akute myeloische Leukämie

Verabreichung

Thioguanin wird peroral verabreicht (als Tablette).

Gegenanzeigen

  • Schwangerschaft
  • Stillzeit

Nebenwirkungen

  • Leukopenie und Neutropenie (gleichzeitig)
  • Thrombopenie
  • Anämie
  • Lebertoxizität: Lebernekrose und venookklusive Erkrankung (veno-occlusive disease; VOD)
  • Appetitlosigkeit
  • Übelkeit und Erbrechen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Datenblatt Tioguanin bei AlfaAesar, abgerufen am 23. März 2010 (JavaScript erforderlich).
  2. 2,0 2,1 2,2 Datenblatt 6-Thioguanine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 24. April 2011.
  3. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.

Weblinks

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