Quantenstatistik

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In der Quantenstatistik wird das Verhalten makroskopischer Systeme mit den Methoden der Quantenmechanik untersucht. Ähnlich wie in der klassischen statistischen Physik geht man davon aus, dass sich das System in einem Zustand befindet, der nur durch makroskopische Größen bestimmt ist, aber durch eine große Anzahl verschiedener, nicht näher bekannter, Mikrozustände realisiert sein kann. Jedoch wird das Abzählen der verschiedenen möglichen Mikrozustände dahin gehend abgeändert, dass das Vertauschen zweier gleicher Teilchen keinen verschiedenen Mikrozustand hervorbringt. Damit wird dem besonderen Charakter der Ununterscheidbarkeit identischer Teilchen Rechnung getragen.

Erklärung

Liegt das System in einem Zustand $ |\psi \rangle $ des Hilbertraums vor (mit der Wellenfunktion $ \psi \!\, $), spricht man von einem reinen Zustand. In Analogie zum klassischen Ensemble werden meist Überlagerungen verschiedener reiner Zustände betrachtet, die sogenannten gemischten Zustände (semantisch präziser: Zustandsgemische). Diese werden beschrieben durch den sogenannten Dichteoperator (auch Statistischer Operator, Zustandsoperator oder Dichtematrix genannt):

$ \rho =\sum _{n}\;\;p_{n}|\psi _{n}\rangle \langle \psi _{n}| $.

Er beschreibt, mit welchen Wahrscheinlichkeiten $ p_{n}\!\, $ sich das System in den einzelnen reinen Zuständen befindet.

Die Überlagerung ist inkohärent. Dies drückt sich darin aus, dass nicht die Zustände $ |\psi _{n}\rangle $ selbst, sondern die zugehörigen Projektionsoperatoren $ {\hat {P}}_{n}=|\psi _{n}\rangle \langle \psi _{n}| $ mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichtet werden.

Eine Folge ist, dass Methoden, bei denen Kohärenz gefordert wird, z. B. Quantencomputing oder Quantenkryptographie, nicht leicht im Rahmen der Quantenstatistik beschrieben werden können bzw. durch thermodynamische Effekte erschwert werden.

Ununterscheidbare Teilchen

Für die Quantenstatistik wichtig ist die Existenz identischer Teilchen. Das sind Quantenobjekte, die sich durch keine Messung unterscheiden lassen; d. h., der für die Quantenphysik grundlegende Hamiltonoperator des Systems (siehe z. B. Mathematische Struktur der Quantenmechanik) muss symmetrisch in den Teilchenvariablen sein, z. B. in den Orts- und Spinfreiheitsgraden des einzelnen Teilchens. Die Vielteilchen-Wellenfunktion $ \psi (1,2,...,N) $ muss also unter Vertauschung bis auf einen Faktor vom Betrag 1 [1] gleich bleiben, jeder Operator $ A $ kommutiert mit einer Permutation P der Teilchen: $ \left[A,P\right]=0 $

Da jede Permutation aus Transpositionen $ \tau _{ij} $ zusammengesetzt werden kann und $ \tau _{ij}^{2}=1 $ gilt, ist es sinnvoll nur total symmetrische ($ \tau _{ij}=1 $) oder total antisymmetrische ($ \tau _{ij}=-1 $) Vielteilchenzustände zu betrachten:

$ \tau _{ij}|...,i,...,j...\rangle =|...,j,...,i,...\rangle =\pm |...,i,...,j,...\rangle $.

Mit anderen Worten: für symmetrische Vielteilchenzustände identischer Teilchen bleibt bei Vertauschen zweier beliebiger Teilchen das Vorzeichen der Gesamtwellenfunktion erhalten, bei antisymmetrischen Vielteilchenzuständen wechselt es.

Das Experiment zeigt, dass die Natur tatsächlich nur solche Zustände realisiert, was am Fehlen von Austauschentartung erkennbar ist. Man bezeichnet diese Tatsache auch als Symmetrisierungspostulat.

Bosonen und Fermionen

Allgemeines

Die Wahrscheinlichkeiten $ p\!\, $, mit denen ein Vielteilchensystem auf seine einzelnen reinen Zustände verteilt ist, beschreibt für Bosonen die Bose-Einstein-Statistik und für Fermionen die Fermi-Dirac-Statistik.

Dabei sind Bosonen Teilchen mit ganzzahligem, Fermionen mit halbzahligem Spin, jeweils gemessen in Einheiten von $ \hbar =h/(2\pi ) $ mit dem Wirkungsquantum $ h\!\, $. Außerdem ist die Wellenfunktion der Bosonen symmetrisch und diejenige der Fermionen antisymmetrisch.

Diese Verknüpfung des Teilchenspins mit der Symmetrie der Wellenfunktion bzw. dem Vorzeichen der Wellenfunktion bei Vertauschung zweier Teilchen wird als Spin-Statistik-Theorem bezeichnet. Es wurde von Wolfgang Pauli aus allgemeinen Prinzipien der relativistischen Quantenfeldtheorie bewiesen.

In zwei Dimensionen ist auch ein Phasenfaktor $ e^{i\phi } $ bei Vertauschung denkbar, diese Teilchen werden Anyonen genannt, bisher aber nicht beobachtet. Bei Anyonen können rationale Zahlen für den Spin auftreten.

Beispiele für quantenstatistische Effekte, d. h. Effekte, bei denen die Vertauschungseigenschaften der Gesamtwellenfunktion eine entscheidende Rolle spielen, sind:

Zusammenhang mit dem Drehverhalten der Wellenfunktion

Auch das Drehverhalten der Wellenfunktion ist in diesem Zusammenhang interessant: bei einer räumlichen Drehung um 360o ändert sich die Wellenfunktion $ \psi (1,2,...,N) $ für Fermionen nur um 180o:

$ \psi (1,2,...,N)\mapsto e^{i2\pi }\psi (1,2,...,N)=-\psi (1,2,...,N) $,

während sie sich fur Bosonen reproduziert:

$ \psi (1,2,...,N)\mapsto e^{i2\pi }\psi (1,2,...,N)=+\psi (1,2,...,N) $.

Durch eine solche 360o-Drehung kann die Vertauschung zweier Teilchen erfolgen: Teilchen 1 bewegt sich zum Ort 2, z. B. auf der oberen Hälfte einer Kreislinie, während Teilchen 2 sich zum leer gewordenen Ort von 1 auf der unteren Halbkreislinie bewegt, um ein Zusammentreffen zu vermeiden. Das Ergebnis der Permutationsgleichung passt also zum ungewöhnlichen Drehverhalten fermionischer Wellenfunktionen (mathematische Struktur: siehe Doppelgruppe SU(2) zur gewöhnlichen Drehgruppe SO(3)).

Statistik idealer Quantengase

Zur Herleitung der Statistik idealer Quantengase betrachten wir ein System im großkanonischen Ensemble, d. h. das betrachtete System sei an ein Wärmebad und an ein Teilchenreservoir angekoppelt. Die großkanonische Zustandssumme ist dann gegeben durch

$ Z_{G}=\mathrm {Tr} \,e^{-\beta ({\hat {H}}-\mu {\hat {N}})}\,, $

wobei Tr Spurbildung, $ {\hat {H}} $ der Hamilton-Operator und $ {\hat {N}} $ der Teilchenzahloperator ist. Die Spur lässt sich am einfachsten mit gemeinsamen Eigenzuständen zu beiden Operatoren ausführen. Dies erfüllen die sog. Fockzustände $ |n_{1},n_{2},\ldots ,n_{\nu },\ldots \rangle $. Dabei ist $ n_{\nu } $ die Besetzungszahl des $ \nu $-ten Eigenzustands. Dann schreibt sich die Zustandssumme als

$ Z_{G}=\sum _{N}\sum _{E}e^{-\beta (E-\mu N)}\, $

Dabei hängt die Energie $ E $ von der Gesamtteilchenanzahl $ N=\Sigma _{\nu }n_{\nu } $ und der Besetzung der jeweiligen Eigenzustände ab. Der $ \nu $-te Eigenzustand habe die Energie $ \varepsilon _{\nu } $. Dann bedeutet eine $ n_{\nu } $-fache Besetzung des $ \nu $-ten Eigenzustandes einen Energiebeitrag von $ E_{\nu }=n_{\nu }\varepsilon _{\nu } $ und Gesamtenergie $ E $ von $ E_{N}=\Sigma _{\nu }E_{\nu } $. Somit lautet die Zustandssumme

$ {\begin{aligned}Z_{G}&=\sum _{N=0}^{\infty }\sum _{\{n_{\nu }\in I|\Sigma _{\nu }n_{\nu }=N\}}e^{-\beta \sum _{\nu }(\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}\,\\&=\sum _{N=0}^{\infty }\sum _{\{n_{\nu }\in I|\Sigma _{\nu }n_{\nu }=N\}}\prod _{\nu }e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}\,\end{aligned}} $

Die zweite Summe läuft über alle möglichen Besetzungszahlen $ n_{\nu }\in I $ ($ I=\{0,1\} $ für Fermionen, bzw. $ I=\mathbb {N} _{0} $ für Bosonen), deren Summe stets die Gesamtteilchenzahl $ N $ ergibt. Da zusätzlich über alle Gesamtteilchenzahlen $ N $ summiert wird, kann man beide Summen zusammenfassen, indem die Beschränkung in der zweiten Summe aufgehoben wird:

$ Z_{G}=\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }\in I}e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}\, $

Die Summe lässt sich für die beiden Teilchensorten auswerten. Für Fermionen erhält man

$ Z_{G}=\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }=0}^{1}e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}=\prod _{\nu }\left(1+e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )}\right)\, $

und für Bosonen

$ {\begin{aligned}Z_{G}&=\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }=0}^{\infty }e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}=\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }=0}^{\infty }\left(e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )}\right)^{n_{\nu }}\\&=\prod _{\nu }{\frac {1}{1-e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )}}}\quad \mathrm {wenn} \quad \beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )>0\end{aligned}}\, $

wobei im letzten Schritt die Konvergenz der geometrischen Reihe gefordert wurde. Mit Kenntnis der großkanonischen Zustandssumme lässt sich auch das großkanonische Potential

$ \Phi (T,V,\mu )\equiv -{\frac {1}{\beta }}\ln Z_{G} $

angeben. Damit lassen sich die thermodynamischen Größen Entropie $ S $, Druck $ p $ und Teilchenzahl $ N $ (bzw. jeweils die mittleren Größen) erhalten:

$ {\begin{pmatrix}S\\p\\N\end{pmatrix}}=-{\begin{pmatrix}\partial _{T}\\\partial _{V}\\\partial _{\mu }\end{pmatrix}}\Phi (T,V,\mu )\, $

Wir interessieren uns hier für die mittlere Besetzungszahl $ \langle n_{j}\rangle $ des $ j $-ten Zustandes. Unter Ausnutzung der Relation $ \partial \varepsilon _{\nu }/\partial \varepsilon _{j}=\delta _{\nu ,j} $ mit dem Kronecker-Delta $ \delta _{\nu ,j} $ erhält man:

$ {\begin{aligned}\langle n_{j}\rangle &={\frac {1}{Z_{G}}}\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }\in I}n_{j}e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}\\&={\frac {1}{Z_{G}}}\left(-{\frac {1}{\beta }}{\frac {\partial }{\partial \varepsilon _{j}}}\right)\underbrace {\prod _{\nu }\sum _{n_{\nu }\in I}e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )n_{\nu }}} _{=Z_{G}}\\&=-{\frac {1}{\beta }}{\frac {\partial }{\partial \varepsilon _{j}}}\ln Z_{G}\end{aligned}}\, $

Das ergibt für Fermionen die Fermi-Dirac-Verteilung

$ {\begin{aligned}\langle n_{j}\rangle &=-{\frac {1}{\beta }}{\frac {\partial }{\partial \varepsilon _{j}}}\sum _{\nu }\ln \left(1+e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )}\right)={\frac {e^{-\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}}{1+e^{-\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}}}\\&={\frac {1}{e^{\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}+1}}\end{aligned}}\, $

und für Bosonen die Bose-Einstein-Verteilung

$ {\begin{aligned}\langle n_{j}\rangle &=-{\frac {1}{\beta }}{\frac {\partial }{\partial \varepsilon _{j}}}\sum _{\nu }\ln {\frac {1}{1-e^{-\beta (\varepsilon _{\nu }-\mu )}}}={\frac {e^{-\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}}{1-e^{-\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}}}\\&={\frac {1}{e^{\beta (\varepsilon _{j}-\mu )}-1}}\end{aligned}}\, $

Zentrale Anwendungen

Die Quantenstatistik wird hauptsächlich angewendet in folgenden thermodynamischen Beziehungen:

  • Gleichungen wie $ \rho ={\frac {e^{-\beta H}}{\rm {{Spur}\{e^{-\beta H}\}}}} $ („kanonische Gesamtheit“) oder $ \rho ={\frac {e^{-\beta (H-\mu N)}}{\rm {{Spur}\{e^{-\beta (H-\mu N)}\}}}} $ („großkanonische Gesamtheit“) mit
  • Formeln für die thermodynamischen Erwartungswerte einer Messgröße (einer sog. Observablen), die durch einen hermitischen (präziser: selbstadjungierten) Operator $ {\hat {A}} $ beschrieben wird: $ \langle {\hat {A}}\rangle _{T}\equiv {\rm {{Spur}\{\rho {\hat {A}}\}\,,}} $
  • einer Formel für die thermodynamische Entropie (bzw. die analoge Informationsentropie)   $ S=-k_{B}\,{\rm {{Spur}\{\rho \cdot \ln \rho \}\,}} $.

Der Formalismus berücksichtigt sowohl die thermodynamischen als auch die quantenmechanischen Phänomene.

Der gerade behandelte Unterschied zwischen Fermionen und Bosonen ist dabei wesentlich: So sind z. B. die quantisierten Schallwellen, die sog. Phononen, Bosonen, während die Elektronen Fermionen sind. Diese beiden Elementaranregungen liefern in festen Körpern ganz unterschiedliche Beiträge zur spezifischen Wärme: der Phononenbeitrag hat eine chakteristische Temperaturabhängigkeit $ \propto T^{3}\,, $ während sich der Elektronenbeitrag $ \propto T^{1} $ verhält, also bei hinreichend tiefen Temperaturen in allen Festkörpern, in denen beide Anregungen auftreten (z. B. in Metallen), stets der dominierende Beitrag ist.

Für diese und ähnliche Probleme kann man oft auch Methoden der Quantenfeldtheorie anwenden, z. B. Feynman-Diagramme. Auch die Theorie der Supraleitung kann man so behandeln.

Literatur

  • W. Nolting: Grundkurs Theoretische Physik, Band 7: Viel-Teilchen-Theorie, Springer, Berlin, ISBN 978-3540241171
  • derselbe : Grundkurs Theoretische Physik, Band 6: Statistische Physik, Springer, Berlin, ISBN 978-3540688709
  • N. W. Ashcroft, D. N. Mermin: Festkörperphysik, Oldenbourg Wissensch.Vlg, ISBN 978-3486577204
  • U. Krey, A. Owen: Basic Theoretical Physics - A Concise Overview, einbändig, part 4, Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-36804-5

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Wegen der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit, die durch |ψ|2 ausgedrückt wird.

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