Drehkristallmethode

Erweiterte Suche

Die Drehkristallmethode ist ein Röntgenbeugungsverfahren in der Kristallographie und eine sogenannte Filmmethode, mit der man mittels monochromatischer Röntgenstrahlung die Gitterkonstanten eines Einkristalls bestimmen kann.

Die Drehkristallmethode ist die älteste Filmmethode und diente als Grundlage für die leistungsfähigeren Röntgenbeugungsmethoden. Sie wird heute in der Praxis kaum mehr verwendet.

Aufbau

Ein Einkristall wird auf einem Goniometer so justiert, dass der Kristall um eine Gitterachse des Kristallgitters gedreht werden kann. Um den Kristall wird ein zylinderförmig gerollter, röntgenempfindlicher Film so gelegt, dass die Zylinderachse und die Drehachse des Kristalls übereinstimmen. Zur Messung wird der Kristall senkrecht zur Drehachse mit einem monochromatischen Röntgenstrahl bestrahlt und dabei ausschließlich um diese Drehachse gedreht.

Messprinzip

Schematische Darstellung der Drehkristallmethode

Diese Messung lässt sich am besten mit Hilfe der Ewaldkugel darstellen. Dazu nimmt man an, dass die Drehachse in der kristallographischen c-Richtung liegt. Das bedeutet, dass die reziproken Gitterebenen vom Typ (h,k,m) (m=..-3;-2;-1;0;1;2;3 ...) senkrecht zu dieser Achse stehen. Dreht man den Kristall um die c-Achse, so schneiden diese Ebenen die Ewaldkugel in einem Kreis. Die vom Kristall gebeugten Strahlen liegen somit auf einem Kegel, dem sogenannten Lauekegel, dessen Achse in Richtung der Drehachse liegt. Auf dem Film bilden diese Reflexe daher eine Linie. Der Öffnungswinkel der Kegel für die jeweiligen Ebenen hängt – außer von der Wellenlänge λ der verwendeten Strahlung – nur noch von der c-Gitterkonstanten ab. Aus dem Abstand ym der zum m.ten Lauekegel gehörenden Linie von der Linie m=0 kann man daher die Gitterkonstante bestimmen:

$ c={\frac {m\lambda }{\sin \arctan {\frac {y_{\mathrm {m} }}{r_{\mathrm {F} }}}}} $

wobei rF der Radius des vom Film gebildeten Zylinders ist.

Die Anwendung der Drehkristallmethode setzt nicht voraus, dass die gemessene Kristallrichtung die Richtung einer Gitterachse ist. Mit diesem Verfahren lässt sich für jeden Punkt des Kristallgitters die dazugehörige Länge des Gittervektors bestimmen.

Nachteile

Die Symmetrie der Abbildung ist immer mm2 (rhombisch-pyramidal). Daher kann man aus dem Film keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Symmetrie des Kristalls ziehen.

Die Reflexe auf dem Film erscheinen nicht in einer bestimmten Reihenfolge. Infolge dessen ist es nicht möglich, einen Zusammenhang zwischen der Stellung des Kristalls und einem einzelnen Reflex herzustellen. Daher kann man die einzelnen Reflexe nicht eindeutig indizieren. Mit dieser Methode lassen sich daher nur Informationen über die Metrik des Kristallgitters gewinnen, aber keine Informationen über die Struktur des Kristalls.

Um dieses Problem zu verringern, wurde die Schwenkmethode entwickelt. Dabei wird der Kristall nicht vollständig um seine Achse gedreht, sondern nur noch um 5°-15° geschwenkt. Dieser Ansatz wurde aber durch leistungsfähigere Messmethoden wie das Weissenberg-Verfahren überholt.

Geschichte

Die Drehkristallmethode wurde 1913 erstmals von Maurice de Broglie genutzt.[1][2][3] Dabei benutzte er den Aufbau als Kristallspektrometer zur Untersuchung der Strahlung einer Röhre. Die Beobachtung beschränkte sich dabei auf die m=0 Linie. Bei vergleichbaren Untersuchungen wurden zusätzliche Reflexe entdeckt, die aber zuerst als Störung behandelt wurden. Hugo Seemann setzte das Verfahren 1919 erstmals zur Untersuchung von Kristallstrukturen ein.[4] Michael Polanyi, Ernst Schiebold und Karl Weissenberg entwickelten in den 1920er Jahren das Verfahren weiter und setzten es systematisch zur Strukturbestimmung von Kristallen ein. [5] Auf Karl Weissenberg geht auch eine wesentliche Weiterentwicklung, das Weissenberg-Verfahren zurück. Mit diesem Verfahren ist es möglich, die einzelne Reflexe zu indizieren und deren Intensität zu bestimmen.

Das 1913 von W. H. und W. L. Bragg entwickelte Braggsche Spektrometer[6] unterschied sich von de Broglies Spektrometer nur darin, dass die Braggs eine bewegliche Ionisationskammer anstelle einer Photoplatte verwendeten. Auch die Braggs setzten ihr Verfahren zunächst zur Messung von Röntgenspektren ein, dann aber auch zur Bestimmung zahlreicher einfacher Kristallstrukturen, wofür sie 1915 den Nobelpreis für Physik erhielten.

Einzelnachweise

  1. Maurice de Broglie: Sur un nouveau procédé permettant d'obtenir la photographie des spectres de raies des rayons de Röntgen. In: Comptes rendus de l’Académie des Sciences. Band 157, S. 924–926, (online).
  2. Maurice de Broglie: Enregistrement photographique continu des spectres des rayons de Röntgen; spectre du tungstène. Influence de l'agitation thermique. In: Comptes rendus de l’Académie des Sciences. Band 157, S. 1413–1416, (online).
  3. Maurice de Broglie: Sur la spectroscopie des rayons de Röntgen. In: Comptes rendus de l’Académie des Sciences. Band 158, S. 177–180, (online).
  4. Hugo Seemann: In: Physikalische Zeitschrift. Band 20, 1919, S. 169–175.
  5. Michael Polanyi, Ernst Schiebold, Karl Weissenberg: Über die Entwicklung des Drehkristallverfahrens. In: Zeitschrift für Physik. Band 23, Nummer 1, S. 337–340, doi:10.1007/BF01327599.
  6. W. H. Bragg, W. L. Bragg: The Reflection of X-rays by Crystals. Proc. R. Soc. Lond. A 88 (1913) S. 428–438 (online)

Literatur

  • Martin J. Buerger: Kristallographie. Walter der Gruyter, Berlin, 1977, ISBN 3-11-004286-X
  •  Max von Laue: Röntgenstrahl-Interferenzen. 3. Auflage. Frankfurt am Main 1960.

Weblinks

Die cosmos-indirekt.de:News der letzten Tage

29.05.2023
Elektrodynamik | Festkörperphysik | Quantenoptik
Informationen schneller fließen lassen – mit Licht statt Strom
Entweder 1 oder 0: Entweder es fließt Strom oder eben nicht, in der Elektronik wird bisher alles über das Binärsystem gesteuert.
25.05.2023
Kometen und Asteroiden | Biophysik
Meteoritisches Eisen: Starthilfe bei der Entstehung des Lebens auf der Erde?
Forscher haben ein neues Szenario für die Entstehung der ersten Bausteine des Lebens auf der Erde vor rund 4 Milliarden Jahren vorgeschlagen.
24.05.2023
Festkörperphysik | Astrophysik
Das Verhalten von Sternmaterie unter extremem Druck
Einem internationalen Team von Forscher*innen ist es in Laborexperimenten gelungen, Materie unter solch extremen Bedingungen zu untersuchen, wie sie sonst nur im Inneren von Sternen oder Riesenplaneten vorkommt.
23.05.2023
Quantenphysik | Quantencomputer
Turbo für das Quanteninternet
Vor einem Vierteljahrhundert machten Innsbrucker Physiker den ersten Vorschlag, wie Quanteninformation mit Hilfe von Quantenrepeatern über große Distanzen übertragen werden kann, und legten damit den Grundstein für den Aufbau eines weltweiten Quanteninformationsnetzes.
18.05.2023
Teilchenphysik | Quantencomputer
Quantenschaltkreise mit Licht verbinden
Die Anzahl von Qubits in supraleitenden Quantencomputern ist in den letzten Jahren rasch gestiegen, ein weiteres Wachstum ist aber durch die notwendige extrem kalte Betriebstemperatur begrenzt.
17.05.2023
Relativitätstheorie | Quantenphysik
Gekrümmte Raumzeit im Quanten-Simulator
Mit neuen Techniken kann man Fragen beantworten, die bisher experimentell nicht zugänglich waren – darunter auch Fragen nach dem Zusammenhang von Quanten und Relativitätstheorie.
16.05.2023
Sonnensysteme | Planeten | Geophysik
Die Kruste des Mars ist richtig dick
Dank eines starken Bebens auf dem Mars konnten Forschende der ETH Zürich die globale Dicke der Kruste des Planeten bestimmen.
11.05.2023
Sterne | Teleskope
Einblicke in riesige, verborgene Kinderstuben von Sternen
Mit dem Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy (VISTA) der ESO haben Astronomen einen riesigen Infrarot-Atlas von fünf nahe gelegenen Sternentstehungsgebieten geschaffen.
10.05.2023
Festkörperphysik | Quantenphysik | Quantencomputer
Verschränkte Quantenschaltkreise
ETH-Forschenden gelang der Nachweis, dass weit entfernte, quantenmechanische Objekte viel stärker miteinander korreliert sein können als dies bei klassischen Systemen möglich ist.
10.05.2023
Exoplaneten | Geophysik
Widerspenstiger Exoplanet lüftet seinen Schleier (ein bisschen)
Einem internationalen Forschungsteam, an dem das Max-Planck-Institut für Astronomie beteiligt ist, ist es nach fast 15 Jahren vergeblicher Anstrengungen gelungen, einige Eigenschaften der Atmosphäre des Exoplaneten GJ 1214 b zu ermitteln.
10.05.2023
Atomphysik
Forschende beschreiben flüssigen Quasikristall mit zwölf Ecken
Einen ungewöhnlichen Quasikristall hat ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universität Sheffield und der Jiaotong-Universität Xi'an gefunden.
08.05.2023
Quantenphysik
Künstliche Intelligenz lernt Quantenteilchen zu kontrollieren
In der Quantenforschung braucht man maßgeschneiderte elektromagnetische Felder, um Teilchen präzise zu kontrollieren - An der TU Wien zeigte man: maschinelles Lernen lässt sich dafür hervorragend nutzen.
06.05.2023
Teilchenphysik | Kernphysik
Elektronen-Rekollision in Echtzeit auf einen Schlag verfolgt
Eine neue Methode erlaubt, die Bewegung eines Elektrons in einem starken Infrarot-Laserfeld in Echtzeit zu verfolgen, und wurde am MPI-PKS in Kooperation zur Bestätigung theoretischer Quantendynamik angewandt.
05.05.2023
Satelliten und Sonden | Quantenoptik
GALACTIC: Alexandrit-Laserkristalle aus Europa für Anwendungen im Weltraum
Alexandrit-Laserkristalle eignen sich gut für den Einsatz in Satelliten zur Erdbeobachtung.
04.05.2023
Festkörperphysik | Quantenphysik
Nanophysik: Wo die Löcher im Flickenteppich herkommen
Patchwork mit Anwendungspotenzial: Setzt man extrem dünne Halbleiternanoschichten aus Flächen zusammen, die aus unterschiedlichen Materialien bestehen, so finden sich darin Quasiteilchen mit vielversprechenden Eigenschaften für eine technische Nutzung.
03.05.2023
Sterne | Teleskope
Astronomen finden weit entfernte Gaswolken mit Resten der ersten Sterne
Durch den Einsatz des Very Large Telescope (VLT) der ESO haben Forscher zum ersten Mal die Fingerabdrücke gefunden, die die Explosion der ersten Sterne im Universum hinterlassen hat.