Thixotropie

Thixotropie

Thixotropie (griechisch: ἡ θίξις, thixis „das Berühren“ und τρέπω, trepo „ich wende“, „ich ändere“) bezeichnet in der Rheologie eine Zeitabhängigkeit der Fließeigenschaften bei nichtnewtonschen Fluiden, bei der die Viskosität (Zähflüssigkeit) infolge andauernder mechanischer Beanspruchung abnimmt und erst nach beendigter Beanspruchung wieder zunimmt.[1] Der Begriff wurde von Peter Peterfi (1883–1953) und Herbert Max Finlay Freundlich (1880–1941) eingeführt. Das gegensätzliche Verhalten zur Thixotropie wird als Rheopexie, Antithixotropie oder negative Thixotropie bezeichnet.

Grundlagen

Viskositätsverlauf thixotroper und rheopexer Fluide (schematisch)

Manche nichtnewtonschen Fluide bauen bei einer konstanten Scherung mit der Zeit die Viskosität ab. Nach Aussetzung der Scherbeanspruchung wird die Ausgangsviskosität wieder aufgebaut. Vereinfacht heißt das, die thixotrope Flüssigkeit wird mit der Dauer ihrer Deformation immer dünnflüssiger. Nach Beendigung der Scherbelastung steigt die Viskosität zeitabhängig wieder an. Erreicht die Flüssigkeit ihren Anfangswert nicht mehr, so bezeichnet man sie als partiell thixotrop.[2]

Nicht zu verwechseln ist thixotropes Verhalten mit der Strukturviskosität, bei der die Viskosität durch zunehmende Scherung abnimmt, bei konstanter Scherbeanspruchung aber dann über der Zeit konstant bleibt.

Die Ursache für beide Phänomene ist ähnlich: die Struktur im Fluid ändert sich unter Scherkrafteinwirkung, sodass kleinere Wechselwirkungen zwischen den Partikeln auftreten. Nach der Einwirkung der Scherkraft bilden sich diese Strukturänderungen mehr oder weniger schnell zurück.

Beispiele

Thixotropieverhalten von Deichbaumaterial
  • Vertraut ist thixotropes Verhalten durch das Kneten von Ton oder Knetmasse („Weichkneten“)
  • Ketchup muss meist geschüttelt werden, bevor er aus der Flasche läuft und erholt sich erst über einen gewissen (kleinen) Zeitraum hinweg[3]
  • Zahncreme soll, wenn sie aus der Tube gepresst wird, als hochpastöse Masse auf der Zahnbürste liegen. Die Relaxationszeit ist hier sehr kurz und geht in die Strukturviskosität über.[4]
  • Margarine
  • Rasiercreme
  • Lippenstift
  • feuchter Kaffeesatz
  • spezielles Bohrfluid, (DeHydril HT)
  • Sand-Wasser-Gemische, in Ufernähe (etwa im Bereich des brandungsnassen Sandstrandes), Treibsand, Schlämme und ähnliches (siehe unten)
  • Fluid-Mud-Ablagerungen in den Trübungszonen von bestimmten Ästuartypen
  • Bei den beiden Blut-Reliquien in der Kathedrale von Neapel, die sich beim sog. Blutwunder des Januarius zweimal jährlich verflüssigen, handelt es sich mutmaßlich ebenfalls um eine thixotrope Substanz.

Joghurt zählt hingegen nicht zu den thixotropen Fluiden, da seine Strukturveränderungen nach dem Zerdrücken irreversibel sind, auch nicht Kondensmilch – wohl aber reines Kasein, das Klebereiweiß der Milch. Auch Honig ist nicht thixotrop: Er wird nicht durch mechanische, sondern thermische Einwirkung dünner – das „Festwerden“ ist eine Zuckerkristallisation.

Synovial­flüssigkeit in den Gelenken ist durch die darin enthaltene Hyaluronsäure thixotrop, weswegen man sich vor sportlichen Betätigungen „aufwärmen“ soll.

Technische Anwendungen

  • Lacke und Dispersionsfarben können nach der Herstellung mit spezifischen Zusätzen von Kieselgelen (Celite® u.ä.) thixotropiert werden.
  • Druckfarben werden durch mechanische Einwirkung wie Rühren, Schütteln, Umspachteln oder Rakeln von einer festen oder pastösen Konsistenz in eine fließende Konsistenz überführt. Im Offsetdruck erledigen diese Aufgabe die Farbspaltungen im Farbwerk, verstärkt durch oszillierende Verreiberwalzen. Auf dem Bedruckstoff soll die Zügigkeit wieder zunehmen.
  • Spritzlack soll nach dem Aufspritzen möglichst schnell zähflüssig werden, beim Zerstäuben und Auftreffen allerdings sehr dünnflüssig sein.
  • zahnärztliche Abformmaterialien, insbesondere Polyether, sind unter Druck bei Platzierung des Abformlöffels im Mund und der damit verbundenen Kompression der Masse fließfähiger. Dies ist der Darstellung schwieriger Details durch ein besseres Anfließen zuträglich.
  • Thixotropiebildner verhindern bei Korrosionsschutzölen ein Ablaufen, indem sie nach dem Aufsprühen auf Metalloberflächen scherungsbedingt ihre Konsistenz verändern
  • Bohrspülungen für Tiefenbohrungen zeigen unter anderem thixotropes Verhalten. Bohrsuspensionen fördern das Bohrklein an die Oberfläche, bei Stillstand der Spülpumpen wird durch die Thixotropie der Bohrsuspensionen das Absinken des Bohrkleins zurück in den Bohrschacht verhindert, obwohl die Bohrspülung sich nicht aufwärts bewegt. Für das kontinentale Tiefbohrprojekt wurde eine Spülung entwickelt, um die Cuttings während des Spülvorganges an Position zu halten.
  • Thixotropes Gel wird zur Ummantelung des Lichtwellenleiters in Seekabeln eingesetzt.
  • Zur Schmierung der Verbindung von Ankerrad zu Anker in mechanischen Uhren wird im Allgemeinen ein thixotropes Öl eingesetzt, um ein Verlaufen an den Bauteilen zu verhindern.
  • Zum Verkleben von Faser-Kunststoff-Verbund-Bauteilen zum Beispiel im Flugzeugbau wird unter anderem eingedicktes und dadurch thixotrop gemachtes Kunstharz verwendet.

Thixotropie in der Körpertherapie

Ein neuer Anwendungsbereich der Thixotropie ergibt sich in der Bindegewebsbehandlung. Forschungen über die biochemische Struktur komplexer Zuckerbiopolymere im Bindegewebe erlauben eine Einsicht in die Bedeutung der Thixotropie während der Lösung von tiefem Narbengewebe, starken körperlichen Verspannungen (sog. 'Verklebungen' des Gewebes), sowie eine Beteiligung bei der durch 'Rolfing', 'Myofascial Release' oder 'Posturale Integration' erreichten Gewebeveränderungen.[5]

Thixotropie in der Bodenkunde

In der Bodenkunde bezeichnet Thixotropie einen Vorgang in feinkörnigen, meist tonigen Sedimenten, bei dem durch mechanische Beanspruchung reversible Viskositätsunterschiede auftreten. Typisch ist ein Wechsel von fest nach flüssig durch Erschütterung mit anschließender Rückkehr in den festen Zustand. Thixotrop sind beispielsweise Quickerde, Quickton und Treibsand.

Ausschlaggebend für diese Eigenschaft sind Korngrößenzusammensetzung und Art der Sediment bildenden Stoffe. Meist sind es plättchenförmige Tonminerale, die sich – in mikroskopischem Maßstab – zunächst in alle Raumrichtungen gegeneinander abstützen. Bei Erschütterung bricht die Struktur wie ein Kartenhaus in sich zusammen, die Mineralplättchen parallelisieren sich und beginnen mangels interner Haftkräfte und unter Einwirkung der Schwerkraft aneinander vorbeizugleiten.

Ebenfalls in diesen Bereich zählen Massenbewegungen wässriger Substrate, also Schlammlawinen, Muren und ähnliches, die unter der hohen mechanischen Last hochfließfähig werden.

Thixotropie in der Schifffahrt

Als Thixotropie in der Schifffahrt [6] wird eine Grenzflächenerscheinung des Systems fest-flüssig von feinkörnigem Ladungsgut, z.B. Erzkonzentraten und Tonen, bezeichnet. Das trocken erscheinende Schüttgut kann in Abhängigkeit von seinem Feuchtigkeitsgehalt allein durch mechanische Erschütterungen wie Vibration des Schiffes breiig und flüssig werden. Die Folge können Ladungsverlagerungen mit Schiffsverlusten sein. Die zulässige Feuchtigkeitsgrenze für den Seetransport ist der höchste Wassergehalt eines Konzentrates. Er beträgt 90 Prozent des Verflüssigungspunktes und muss vor Ladungsübernahme durch eine amtliche Expertise bestimmt werden.

Einzelnachweise

  1. Vgl. DIN 1342-3:2003-11, Kap. 4.2.3, Pkt. a)
  2. Gehm, L.: Rheologie - Praxisorientierte Grundlagen und Glossar, Vincentz Verlag, 1998. ISBN 3-87870-449-6
  3. Christian Ucke: Physikalisches Praktikum für Mediziner. 14. Auflage. Technische Universität München, München 1999, Viskosität, S. 84.
  4. Günter Vollmer und Manfred Franz: Chemische Produkte im Alltag, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1985, S. 161, ISBN 3-13-670201-8.
  5. vgl. * <Juhan, Deane; Lehrbuch der Körperarbeit; München 1992, S. 182; * Schlage, Bernhard; Die Lust an der Berührung; Hannover 2012
  6. U. Scharnow: Lexikon der Seefahrt. diverse Jahrgänge, transpress VEB Verlag für Verkehrswesen Berlin, ISBN 3-344-00190-6. Seite 605