Aberration (Astronomie)

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Die Aberration des Lichts (v. lat. aberratio „Ablenkung“) bezeichnet in der Astronomie eine kleine scheinbare Ortsveränderung aller Gestirne durch die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Dieser auch als stellare Aberration bezeichnete Effekt beeinflusst die Sternörter auf dreifache Weise:

  • tägliche Aberration, verursacht durch die Erdrotation,
  • jährliche Aberration, verursacht durch die Umlaufbahn der Erde um die Sonne,
  • säkulare Aberration, verursacht durch die Bewegung des Sonnensystems gegenüber den anderen Sternen unserer kosmischen Nachbarschaft.

Neben diesen stellaren Aberrationen gibt es auch eine planetare Aberration, welche die Position der Planeten im Sonnensystem betrifft.

Erklärung

Allgemeine Aberration

Das Fernrohr muss leicht gekippt werden, damit der Lichtstrahl die Objektiv-Mitte und später das Okular trifft (Skizze stark übertrieben).

Der Unterschied der Ausbreitungsrichtung von Licht in unterschiedlichen Inertialsystemen wird am einfachsten mit der Teilchentheorie des Lichts erklärt. Die Zusammenhänge sind hier ähnlich wie bei einem bewegten Beobachter, der die Richtung der auf ihn einprasselnden Regentropfen bestimmen will. Es sei ein Inertialsystem gegeben, in dem ein Lichtstrahl senkrecht von einer Lichtquelle ausgeht. (Die Lichtquelle wird aus Gründen der Anschaulichkeit vorerst als in diesem System ruhend angenommen, was den Umständen bei einer Lichtuhr oder dem senkrechten Arm eines Michelson-Interferometers entspricht.) Würde zusätzlich ein Fernrohr im selben Inertialsystem ruhen, müsste man es exakt in die Lotrichtung bringen, um damit die Lichtquelle zu beobachten. Hingegen für den Fall dass sich das Fernrohr mit einer Geschwindigkeit $ v $ bewegt, muss es in Bewegungsrichtung gekippt werden um den Lichtstrahl in seiner Mitte zu halten (Bild links), denn das Licht benötigt eine gewisse Zeit um das Fernrohr zu durchlaufen. Hingegen im Inertialsystem des Beobachters beim Fernrohr entsteht der Eindruck, dass die Strahlen geneigt eintreffen, und die Lichtquelle erscheint nicht in ihrer tatsächlichen Richtung, sondern um einen kleinen Aberrationswinkel in Richtung der Fernrohrbewegung verschoben (Bild rechts). Die entsprechende Aberrationsformel zur Bestimmung der relativen Winkel in zueinander bewegten Inertialsystemen wird durch Anwendung der relativistischen Geschwindigkeitsaddition abgeleitet (s. Herleitung).[1]

Stellare Aberration

Die relativistische Aberrationsformel gilt nun generell beim Übergang von einem Inertialsystem in ein anderes, egal ob die Lichtquelle in irgendeinem dieser Systeme ruht oder nicht. Beispielsweise bei astronomischen Beobachtungen handelt es sich bei den Lichtquellen um Sterne oder Sternsysteme, deren genauer Bewegungszustand oft nicht bekannt ist. Denn aufgrund der großen Entfernung schrumpfen diese zu sehr kleinen oder überhaupt punktförmigen Objekten, deren Eigenbewegungen zu gering sind um ihre relativen Positionen im Nachthimmel nennenswert zu verändern ("Fixsterne"). Aus Sicht eines relativ zur Sonne ruhenden Beobachters würde das Licht eines entfernten Sternsystems also immer annähernd im gleichen Winkel einströmen. Selbst große Geschwindigkeiten innerhalb des beobachteten Sternsystems (wie beispielsweise die gegensätzlichen Bewegungen von Doppelsternen) ändern an diesem Umstand nichts, da auch hier nur diejenigen Lichtstrahlen von Bedeutung sind, die sich vom Doppelsternsystem aus geradlinig mit genau dem Winkel ausbreiten, um den Beobachter überhaupt zu erreichen. Zur Bestimmung der Richtung eines Strahls spielen also nur der relative Ort der Emission und der Ort des Empfängers eine Rolle.

Deswegen ist die gelegentlich auftretende Vorstellung zu verwerfen, dass der stellare Aberrationswinkel von der tatsächlichen Eigenbewegung der Lichtquelle abhängt ("aktive Aberration"). Entscheidend ist die Orbitalgeschwindigkeit der Erde um die Sonne von annähernd 30,3 km/s, womit in 6 Monaten eine maximale Geschwindigkeitsdifferenz von ungefähr 60 km/s gegeben ist. Dadurch ist der Fixsternhimmel aus Sicht der Erde als Ganzes in Bewegung. Nun ist es für den irdischen Beobachter nicht möglich aus einer einzigen Messung zu entscheiden, ob der Strahl deshalb bei ihm geneigt eintrifft, weil ein Aberrationseffekt vorliegt, oder ob der Strahl geneigt von einem Stern abgestrahlt wurde, der im selben Inertialsystem ruht wie der Beobachter. Deshalb ist es zur Bestimmung des jährlichen Aberrationswinkels notwendig, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Messung durchgeführt wird, die mit der ersten Messung verglichen wird. Die in der Aberrationsformel verwendete Geschwindigkeit $ v $ ist also nicht die Relativgeschwindigkeit zwischen Stern und Erde, sondern die Relativgeschwindigkeit zwischen dem Inertialsystem, in dem die Erde ruht während der ersten Messung, und dem Inertialsystem, in dem sie bei der nachfolgenden Messung im Zuge der Umkreisung der Sonne ruht.[2][3]

Herleitung

In der klassischen Mechanik sind die Geschwindigkeitskomponenten eines Strahls in verschiedenen Inertialsystemen durch die Galilei-Transformation miteinander verknüpft. Ein Strahl, der sich in einem Inertialsystem mit $ c $ ausschließlich in y-Richtung ausbreitet, erhält in einem relativ mit $ v $ bewegten zweiten Inertialsystem zusätzlich die Geschwindigkeitskomponente $ v $ in x-Richtung, während die Komponente in y-Richtung gleich bleibt. Die Aberrationsformel ergibt sich mit:

$ \tan \alpha ={\frac {v}{c}} $.

Dieses Ergebnis ist allerdings nur als Näherung gültig, denn gemäß der speziellen Relativitätstheorie gilt die Lorentz-Transformation und es muss die relativistische Geschwindigkeitsaddition angewendet werden. Dadurch ergeben sich Geschwindigkeitskomponenten von $ v $ in x-Richtung und $ {\sqrt {c^{2}-v^{2}}} $ in y-Richtung, wodurch die Gesamtgeschwindigkeit des Strahls gleich $ c $ bleibt. Die korrekte, relativistische Aberrationsformel für diesen Spezialfall lautet somit:

$ \tan \alpha =\gamma {\frac {v}{c}}\quad {\text{oder}}\quad \sin \alpha ={\frac {v}{c}}, $

wo $ \scriptstyle \gamma =1/{\sqrt {1-v^{2}/c^{2}}} $ der Lorentzfaktor ist. Die Abweichung von der klassischen Formel ist also bei geringen Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit sehr klein. Dasselbe Ergebnis erhält man auch, wenn man berücksichtigt, dass Lichtstrahlen bzw. Photonen einen Impuls von $ p=E/c $ besitzen (wobei $ E $ die Energie ist). Auch hier ergibt eine Transformation in ein relativ bewegtes System eine entsprechende Änderung der Impulskomponenten gemäß der relativistischen Aberrationsformel.[1]

Für den Fall, dass der Strahl in beiden Systemen geneigt ist, gilt die allgemeine Aberrationsformel (wenn $ \alpha $ der Winkel im ersten System und $ \alpha ' $ in einem mit $ v $ bewegten System ist):[3]

$ \tan {\frac {\alpha '}{2}}=\tan {\frac {\alpha }{2}}{\sqrt {\frac {c+v}{c-v}}}\quad {\text{oder}}\quad \cos \alpha '={\frac {\cos \alpha -{\frac {v}{c}}}{1-{\frac {v}{c}}\cos \alpha }}. $

Arten der Aberration

Varianten der stellaren Aberration sind:[4]

  1. Jährliche Aberration: Der größte jährliche Aberrationswinkel wird erreicht, wenn sich die Erde genau senkrecht zur Richtung des vom Stern kommenden Lichtstrahls bewegt. Wenn sie sich dem Stern nähert oder von ihm entfernt, wird der Aberrationswinkel kleiner. Daher beschreibt jeder Stern jährlich gegenüber dem Himmels-Koordinatensystem eine kleine Ellipse mit 41″ Durchmesser; nur bei Sternen senkrecht oberhalb beziehungsweise unterhalb der Erdbahn (siehe Ekliptik) ist diese Richtungsänderung kreisförmig. Ihr mittlerer Radius von 20,49552″ heißt Aberrationskonstante und ist von großer Bedeutung für das Fundamentalsystem der Astronomie (siehe auch Simon Newcomb).
  2. Die tägliche Aberration infolge der Erdrotation ist ebenfalls festzustellen, sie beträgt aber selbst am Äquator nur etwa ein Fünfundsechzigstel der jährlichen Aberration. Für einen Stern im Meridian beträgt sie je nach Breitengrad B des Standorts 0,32″·cosB und verschiebt den scheinbaren Sternort um diesen Betrag nach Osten.
  3. Die säkulare Aberration ist nicht periodisch, sondern eine Art perspektivischer Effekt. Durch Methoden der Stellarstatistik fand man im 19. Jahrhundert heraus, dass sich die „Fixsterne“ auf gegenüberliegenden Himmelshälften geringfügig anders bewegen. Man kann daraus den sogenannten Apex berechnen: jenen Fluchtpunkt im Sternbild Herkules, auf den sich die Sonne und unser Planetensystem mit 20 km/s zubewegt. Allerdings rotiert die gesamte Sonnenumgebung gleichzeitig mit ungefähr 220 km/s um das Massenzentrum der Milchstraße im Sternbild Schütze.

Daneben gibt es auch eine planetare Aberration. Dabei handelt es sich um den Fall, wenn Position und Geschwindigkeit des gemessenen Himmelskörpers während der Emission des Lichtes genau bekannt sind, wie bei den Planeten des Sonnensystems. Dadurch kann aus dem Aberrationswinkel und Laufzeitkorrekturen die Position des Planeten zu dem Zeitpunkt berechnet werden, wenn das Licht beim Beobachter eintrifft.[4]

Geschichte

Die Aberration wurde 1725 vom englischen Astronomen James Bradley entdeckt. Eigentlich wollte er die jährliche Parallaxe des Sterns Etamin messen, um endlich eine Vorstellung über die Entfernungen der Sterne zu erhalten. Doch hätte er die Parallaxe (weit unter 0,1″) mit den Mitteln des 18. Jahrhunderts noch nicht nachweisen können; dies gelang erst 1838 Friedrich Wilhelm Bessel bei einem näheren Stern. Bradley war jedoch imstande, die beobachtete Ortsverschiebung – welche quer zu seiner Erwartung verlief – auf Basis von Isaac Newtons Korpuskeltheorie oder Emissionstheorie durch eine simple Addition der Geschwindigkeiten zu deuten. Diese Theorie sagt jedoch eine Quellenabhängigkeit der longitudinalen Geschwindigkeit von Licht voraus. Dies wurde experimentell widerlegt, wodurch die Emissionstheorie zu verwerfen ist.

Im 19. Jahrhundert wurde diese Erklärung durch die Annahme ersetzt, dass Licht kein Teilchen, sondern eine in einem ruhenden Äther übertragene Welle sei. Diese Erklärung hatte das Problem, dass die Wellenebenen der Wellenfronten eigentlich keiner Aberration unterworfen sein sollten. Deshalb musste man auf das Konzept der Energieübertragung gemäß dem Poynting-Vektor, wodurch die Strahlbahn bestimmt wird, zurückgreifen.[1] Eine analoge Erklärung bot sich an, als erkannt wurde, dass im Teleskop die Wellenpakete durch Interferenz aus den Wellenfronten „ausgeschnitten“ werden, wobei auf die Wellenpakete die Aberration angewendet werden konnte.[2] Die Idee eines Äthers als Trägermedium für Licht musste allerdings verworfen werden, da sein Bewegungszustand nicht gemessen werden konnte.

Diese Erklärungen wurden schließlich im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie ersetzt und wesentlich vereinfacht. Hier ist es belanglos, ob Licht als Welle oder Teilchen aufgefasst wird, denn auch die Wellenfronten sind für einen auf der Erde ruhenden Beobachter aufgrund der Relativität der Gleichzeitigkeit „gekippt“ und ergeben somit zwanglos die Aberration des Lichtes. Analog dazu wird die Neigung der Photonenbahn durch die relativistische Addition der Geschwindigkeiten berechnet.[2]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Max Born: Die Relativitätstheorie Einsteins. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2003, ISBN 3-540-00470-X.
  2. 2,0 2,1 2,2 Liebscher, D.-E.; Brosche, P.: Aberration and relativity. In: Astronomische Nachrichten. 319, Nr. 5, 1998, S. 309. Siehe auch: Fallstricke Aberration
  3. 3,0 3,1 Kassner, K.: Why the Bradley aberration cannot be used to measure absolute speeds. A comment. In: EPL (Europhysics Letters). 58, Nr. 4, 2002, S. 637-638. arXiv:astro-ph/0203056. doi:10.1209/epl/i2002-00443-7.
  4. 4,0 4,1 US Nautical Almanac Office: Astronomical Almanac, S. M-1, Government Printing Office 2008, ISBN 0118873423

Siehe auch

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