KATRIN

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Ortsdurchfahrt Leopoldshafen
Vakuumtank am Haken des Schwerlastkrans unmittelbar nach dem Absetzen auf die zwei gekoppelten Tieflader

Das Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment (KATRIN) hat die direkte Bestimmung der Elektron-Neutrinomasse zum Ziel. Derzeit befindet sich das Experiment am Karlsruher Institut für Technologie in der Aufbauphase und wird frühestens 2014 den Messbetrieb aufnehmen.

KATRIN vermisst zur Bestimmung der Neutrinomasse das Betaspektrum des Zerfalls von radioaktivem Tritium im Bereich des Endpunktes und ist für eine Sensitivität von 0,2 eV ausgelegt. Damit wird KATRIN bisherige Experimente in Mainz und Troizk um eine Größenordnung übertreffen, welche auf der gleichen Methode basieren und für die Elektron-Neutrinomasse eine Obergrenze von 2,3 eV lieferten.

Motivation

Im gut etablierten Standardmodell der Elementarteilchenphysik sind die bekannten Neutrinos νe, νμ und ντ zunächst masselos. Verschiedene Experimente mit atmosphärischen (Super-Kamiokande), solaren (GALLEX, Homestake, SNO) und Reaktor-Neutrinos (Double-Chooz) weisen aber darauf hin, dass die Neutrino-Ruhemasse von Null verschieden ist. All diese Experimente arbeiten jedoch mit der Neutrinooszillation und messen daher Massen-Abstandsquadrate wie $ \Delta m_{12}^{2} $, nicht aber die absoluten Neutrinomassen.

Experimente wie KATRIN beziehungsweise die Vorgängerexperimente ermöglichen dagegen die Bestimmung der absoluten Massen $ m_{1,2,3} $. Diese bezeichnen dabei die Massen der sogenannten Massen-Eigenzustände, die mit den messbaren Massen von e-, µ- und τ-Neutrino über die Maki-Nakagawa-Sakata-Mischungsmatrix zusammenhängen.

Die genaue Kenntnis der Neutrinomasse ist erforderlich, um zwischen den vielen unterschiedlichen Modellen zu unterscheiden, mit welchen versucht wird, den Neutrinos über das bisherige Standardmodell hinausgehend eine Masse zu verleihen.

Die Kenntnis der Masse eines der drei Massen-Eigenzustände m1, m2, m3 ermöglicht weiterhin die Unterscheidung zwischen drei möglichen Varianten des Neutrinomassenspektrums:

  • Normale Hierarchie: $ m_{1}\ll m_{2}<m_{3} $
  • Invertierte Hierarchie: $ m_{3}\ll m_{1}<m_{2} $
  • Quasi-degenerierte Hierarchie: $ m_{1}\approx m_{2}\approx m_{3}\approx m_{0}\quad {\text{mit}}\;m_{0}=0,10\,{\text{eV}} $

KATRIN stößt damit als erstes Experiment in den Bereich der quasi-degenerierten Hierarchie vor.

Außerdem will man mit KATRIN herausfinden, in welchem Ausmaß Neutrinos als „heiße dunkle Materie“ (HDM) zur Entstehung großskaliger Strukturen im Universum beigetragen haben.

Durchführung

Energiespektrum der beim Tritium-Betazerfall emittierten Elektronen. Es sind drei Graphen für verschiedene Neutrinomassen dargestellt. Nur im Bereich des hochenergetischen Endpunktes laufen die Kurven auseinander; der Schnittpunkt mit der Abszisse hängt von der Neutrinomasse ab. Bei KATRIN wird der Energiebereich um den Endpunkt vermessen, um die Neutrinomasse zu bestimmen. Das Diagramm verdeutlicht außerdem die äußerst geringe Zählrate im vermessenen Energiebereich (logarithmische Schreibweise der Zählrate!), die lange Messzeiten erfordert um aussagekräftige Ergebnisse zu erreichen.

Ausgangspunkt des Experiments ist der Tritium-Betazerfall, bei dem ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino emittiert werden. Die Zerfallsenergie von 18,6 keV wird dabei zwischen beiden Teilchen aufgeteilt. Falls das Neutrino masselos ist, gibt es keine untere Grenze für die Neutrinoenergie, und das Energiespektrum der emittierten Elektronen würde bis zum Maximum von 18,6 keV reichen. Bei vorhandener Neutrinomasse muss das Neutrino aber mindestens seine Ruheenergie $ E=mc^{2} $ tragen, so dass diese Energie im Elektron-Energiespektrum fehlt. Durch genaue Vermessung des Endpunktes im Spektrum, das heißt in Nähe der Maximalenergie, ließe sich die Neutrinomasse über die Differenz zwischen theoretischer Kurve (für $ m_{\nu }=0 $) und dem gemessenen Spektrum bestimmen.

Für das Experiment sind ausschließlich Elektronen nützlich, die mit maximaler Energie von der Tritiumquelle emittiert werden, das zugehörige Neutrino also fast keine Energie davonträgt (bis auf die Ruheenergie). Für eine Vermessung des Endpunktes im Spektrum ist es daher erforderlich, niederenergetische Elektronen herauszufiltern. Dazu muss – bei einer Elektronenenergie von 18,6 keV – diese Energie auf etwa 1 eV genau zu vermessen, das heißt mit einer Energieauflösung von besser als 0,005 Prozent. Dies kann mit einfachen Teilchendetektoren nicht erreicht werden. Stattdessen werden zwei Spektrometer verwendet, die gemeinsam diese hohe Auflösung erreichen und gleichzeitig eine ausreichend hohe Luminosität gewährleisten. Beide Spektrometer arbeiten dabei als sogenannte MAC-E-Filter (Magnetic Adiabatic Collimation combined with an Electrostatic Filter), in denen über eine Gegenspannung die Elektronen nach ihrer Energie selektiert werden. Im kleineren Vorspektrometer wird dabei durch eine Spannung im Bereich von −18 kV der Elektronenfluss bereits stark reduziert; die Spannung im Hauptspektrometer wird für die Vermessung des Spektrums im Bereich von −18,6 kV variiert. Dabei soll insgesamt eine Energieauflösung von 0,93 eV erreicht werden. Der für den Nachweis von Elektronen eingesetzte Detektor besitzt dagegen nur eine Auflösung von 200 eV – wegen der vorherigen Energieselektion ist hier keine besonders hohe Auflösung für die Messung notwendig; die Auflösung von einigen hundert eV hilft aber bei der Unterdrückung von Untergrundsignalen.

Der Elektronenfluss reduziert sich durch die beiden Filter von 1010 e/s an der Tritiumquelle auf etwa 1 e/s am Detektor. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erreichen, sind daher mehrere Messperioden mit einer Länge von jeweils drei Monaten nötig, in denen vor allem die Gegenspannung im Spektrometer auf wenige ppm genau aufgezeichnet werden muss.

Um Verfälschungen der Messung durch nicht aus dem Tritum-Betazerfall stammende Elektronen zu verhindern, die etwa durch einfallende kosmische Strahlung erzeugt werden, ist das gesamte Hauptspektrometer von innen mit einer doppelten Abschirmelektrode ausgekleidet. Die an diesen Elektroden anliegende Spannung ist etwas kleiner als die an der Tankwand anliegende, das heißt etwa −18,6 kV gegenüber −18,4 kV an der Wand. Durch diese Gegenspannung werden aus der Wand herausgelöste Elektronen abgebremst und dringen nicht bis zum Detektor vor.

Sonstiges

Der 200 t schwere, 24 m lange Vakuumtank mit einem Durchmesser von 10 m für das KATRIN-Hauptspektrometer wurde von der MAN DWE GmbH in Deggendorf bei Regensburg hergestellt, das Experiment wird jedoch im Karlsruher Institut für Technologie aufgebaut, da sich dort mit dem Tritium-Labor im KIT Campus Nord (ehemals Karlsruher Forschungszentrum) die europaweit einzige für das Experiment geeignete Tritiumquelle befindet. Der Tank war allerdings zu groß, um über Autobahnen transportiert werden zu können, daher wurde er über die Donau, durch das Schwarze Meer, das Mittelmeer, den Atlantik, den Ärmelkanal, die Nordsee und über den Rhein nach Leopoldshafen bei Karlsruhe per Schiff und schließlich am 25. November 2006 auf den letzten 6,8 km per Tieflader-Schwertransport in viereinhalb Stunden durch Leopoldshafen zum Forschungszentrum gebracht. Dieser Umweg betrug ca. 8600 km gegenüber der kürzeren Route mit 350 km auf dem Landweg.

Siehe auch

Weblinks


49.0957178.436117Koordinaten:

49° 5′ 45″ N, 8° 26′ 10″ O

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