Kanalisation

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Kanalisation in Paris
Kanalisation in Paris
Schacht in Brighton
Kanalisation aus der Antike (Athen)
Plan der Kanalisation Wiens, 1739

Eine Kanalisation ist eine Anlage zur Sammlung und Ableitung von Schmutzwasser, Regen- und Schmelzwasser durch unterirdische Kanäle. Regionale Bezeichnungen für die Kanalisation sind Dole oder Siel.

Zur Kanalisation gehören neben dem Kanalnetz auch Sammel-, Pump-, Absperr- und mechanische Reinigungsanlagen. Das gesammelte Abwasser wird zu Abwasserbehandlungsanlagen (Kläranlagen) transportiert oder direkt in Gewässer, in diesem Zusammenhang als Vorfluter bezeichnet, eingeleitet.

Kanalisation deckt sich teilweise mit dem Begriff Entwässerungsanlage (gem. DIN EN 752-1:1995 … ein System von Rohren und Zusatzbauten zur Ableitung von Schmutzwasser- und/oder Regenwasser zu einer Senkgrube, Kanalisation oder sonstigen Entsorgungseinrichtung …)

Vielfach werden auch natürliche Gewässer, die eine Ortschaft durchfließen, kanalisiert, indem sie in die Kanalisation eingeleitet oder in einem gesonderten Kanal unterirdisch durch die Ortslage geführt werden. Typische Beispiele hierfür in Deutschland sind der Darmbach in Darmstadt oder der Salzbach in Wiesbaden mit seinen Zuflüssen.

Entwicklung

Mit der Bildung von zusammenhängenden Siedlungen entstanden Probleme durch Abfälle, Abwässer und Überflutungen. Die zunächst einfache Entsorgung war ein Hauptgrund für die Entstehung von Siedlungen an Bächen und Flüssen; dadurch konnte die natürliche Vorflut zur Ableitung genutzt werden.

Um Flut- und Regenwasser schnell und aus hygienischen Gründen Abwasser geordnet ableiten zu können, entwickelten sich – vor allem in dichten Siedlungen – schon vor langer Zeit erste Kanalisationen. Bei der Schwemmkanalisation wurden Abfälle und Abwässer durch Wasser weggespült. Meistens dienten dazu Regenwasser oder aber auch natürliche Gewässer. Bereits im Altertum befasste man sich mit dem Problem der Abwasserbeseitigung und baute Entwässerungsleitungen in Städten. So entdeckten Archäologen in Mohenjo-Daro, nahe dem Fluss Indus in Pakistan, ein 4000 Jahre altes gemauertes Entwässerungssystem. Es wird zu den ältesten Kanalisationen der Welt gezählt. Noch heute können die aus Ziegeln gemauerten Hausanschlüsse und Kanäle besichtigt werden, welche das Abwasser ableiteten. Entwässerungskanäle lassen sich aber auch schon um 3000 v. Chr. im Euphrattal nachweisen. Zu Zeiten der Römer wurden Schwemmkanalisationen verwendet; meistens handelte es sich dabei allerdings um offene Gerinne, wegen des hohen Bauaufwandes waren Abwasserrohre selten. Die bekannteste römische Kanalisation ist die Cloaca Maxima in Rom. Der Rest einer unterirdischen, römischen Abwasserkanalisation ist in der Kölner Altstadt noch heute begehbar.

Im frühen europäischen Mittelalter ging das Wissen um die hygienische Bedeutung einer geordneten Abwasserentsorgung weitgehend verloren, weshalb es infolge einer wachsenden Bevölkerung über Jahrhunderte hinweg zu verheerenden Pest- und Choleraepidemien kam. Erst in der Neuzeit wurde in den aufgrund der Industrialisierung stark gewachsenen Städten eine geordnete Abwasserentsorgung installiert. Im Jahre 1739 war Wien als erste Stadt Europas vollständig kanalisiert. Ab 1842 wurde in London mit dem Bau des Kanalisationssystems begonnen. Das erste moderne Kanalisationssystem auf dem europäischen Festland entstand ab 1856 in Hamburg nach dem Großen Brand von 1842.

Am Beispiel von Berlin lassen sich vier Phasen der modernen Wasserwirtschaft in Ballungszentren unterscheiden: 1856–1874, 1874–1900, 1900–1925, 1925–1940. Die heutigen Berliner Wasserbetriebe wurden in der ersten Phase durch ein englisches Privatunternehmen realisiert. Die Übernahme des Wasserwerks in städtische Hand erfolgte 1874. Danach wurde bis zum Jahre 1900 eine flächendeckende Grundversorgung aufgebaut. Der Auf- und Ausbau eines leistungsfähigen Kanalisationssystems begann dagegen später in der zweiten Phase. In Berlin wurden damals durch längere empirische Untersuchungen unter der Leitung Rudolf Virchows schwerwiegende technische Fehler bei Konzeption und Bau der Kanalisation und somit hohe Fehlinvestitionen vermieden, im Gegensatz etwa zu Frankfurt, Düsseldorf, Essen und Münster. Die Entwicklung der biologischen Abwasserreinigung und des Belebtschlammverfahrens folgte in den Jahren 1900–1940.

Im ländlichen Raum entstand die heutige Kanalisation im Regelfall durch die sog. Bürgermeisterkanäle.

Heutzutage werden viele Abwassernetze saniert, um auch die Reinigung von kleinen Abwassermengen besser zu ermöglichen. Das Leipziger Mischwassernetz mit einer Länge von mehr als 2.700 Kilometern verfügt über eine sogenannte Kanalnetzsteuerung. Über dieses System lassen sich große Mengen Schmutzwasser, wie sie beispielsweise bei Starkregen entstehen, im Kanal zwischenspeichern. Das Wasser wird dann nach und nach in Leipzigs größtes Klärwerk im Rosental abgeleitet. Das System entlastet nicht nur das Klärwerk und schützt es vor Überflutung, sondern schont auch die Umwelt, weil bei Starkregen deutlich weniger stark verdünntes Mischwasser in umliegende Gewässer wie Elstermühlgraben oder die Parthe abgegeben werden muss.

Entwässerungsverfahren

Die Abwässer, die von der Kanalisation erfasst werden, sind heute die Siedlungsabwässer von Haushalten und Kleingewerbe und zum großen Teil die Niederschlagsabwässer, die von Dachflächen und versiegelten Oberflächen abgeleitet werden. Zum Teil gelangen auch Industrieabwässer in die Kanalisation. Industrieabwässer werden meistens in firmeneigenen Kläranlagen oder Abscheideranlagen vorgeklärt. Wegen der sehr speziellen Verunreinigung durch Mineralöle, Salze oder andere Chemikalien ergeben sich besondere Reinigungsanforderungen, bevor sie in größere (öffentliche) Systeme eingeleitet werden dürfen.

Bestanden in Deutschland und Österreich noch bis in die 1960er-Jahre hinein (in den ländlichen Gebieten bis in die 1990er-Jahre) viele Hausfäkalkanäle mit Senkgruben und Sickergruben, so wurde in den letzten Jahrzehnten von den Kommunen viel investiert, um diese Hausanlagen in Ortskanalisationen zusammenzufassen und die Abwässer Kläranlagen zuzuleiten. Das öffentliche Kanalnetz besteht aus Kanälen, Schächten, Sonderbauwerken (Regenüberlaufbecken, Abwasserpumpwerk, Pumpstationen, Kurvenbauwerken, Auslässen) sowie, satzungsabhängig, Anschlussleitungen bis zu Grundstücksgrenzen oder Revisionsschächten.

Typen nach Abfluss

Nach dem Abfluss unterscheidet man folgende Entwässerungssysteme:

Mischsystem (Mischkanalisation)

Haus-, Industrie- und Niederschlagsabwässer werden gemeinsam abgeführt.

Modifizierte Mischkanalisation

Schmutzwässer sowie behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden zusammen abgeführt. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert oder direkt oder indirekt in ein Gewässer geleitet.

Trennsystem (Trennkanalisation)

Schmutzwässer werden in einem Kanal abgeführt, Niederschlagsabwässer in einem separaten Kanal. Wegen der in der Regel geringen Schmutzfracht von Regenwässern werden diese meistens direkt oder indirekt (etwa über Regenwasserrückhaltebecken) in Gewässer eingeleitet und nicht in Kläranlagen behandelt.

Erweiterte Trennkanalisation

Schmutzwässer und behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden in separaten Kanälen abgeleitet. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert oder direkt oder indirekt in ein Gewässer geleitet.

Sonderverfahren

Bei abgelegenen Gebäuden oder Siedlungen können, abhängig von Abwasseraufkommen und -beschaffenheit, auch Druck- oder Vakuumentwässerungsverfahren und Speicherung in abflusslosen Sammelgruben mit Entsorgung durch Fahrzeuge zur Entsorgung der Abwässer verwendet werden. Auch bei der örtlichen Abwasserreinigung durch Kleinkläranlagen (Tropfkörper, Belebtschlammverfahren, Pflanzenkläranlagen und Rieselfelder (Abwasserverrieselung)) sind Zuleitungskanäle erforderlich. Teilweise sind auch zusätzliche Kanalsysteme für Drainagen oder Fremdwasser vorhanden, die direkt in einen Vorfluter einleiten.

In Deutschland überwiegt bis heute die Mischkanalisation, mit der etwa 60 % der Siedlungsgebiete aller Einwohner entwässert werden. Beim Neubau von Anlagen ist gemäß Wasserhaushaltsgesetz eine Trennkanalisation vorgeschrieben. Auch wandelte sich die Entwässerungskonzeption in den letzten Jahren. Von der ableitungsorientierten Sicht und im Sinne einer wirtschaftlichen und ökologischen Sichtweise gewinnt die dezentrale Regenwasserversickerung vor Ort zunehmend an Bedeutung.

Typen nach Größe

Nach der Größe unterscheidet man:

Hauskanalisation

Auf privaten Grundstücken werden heutzutage meist Rohre mit der Nennweite DN 100 (Rohrdurchmesser 10 cm) bis DN 200 (20 cm) verwendet. Zur Hauskanalisation gehören Ausgüsse, Toiletten, Dachentlüftungen und hausinterne Gullys (die Entwässerungsgegenstände). Die Hauskanalisation wird in das öffentliche Kanalnetz entsorgt oder mündet in Abwasserreinigungsanlagen beziehungsweise abflusslosen Sammelgruben in der unmittelbaren Nähe des zu entwässernden Objektes. Die Entwässerungsgegenstände eines Hauses werden über Geruchsverschlüsse (Siphon) angeschlossen und zu den Fallrohren entwässert. Die Fallrohre münden in den Grundkanal, der das Abwasser zum Hausanschlussschacht leitet. Eventuell ist eine Abwasserhebeanlage für tiefliegende Geschosse erforderlich. Um Schäden durch Rückstau aus dem Kanalnetz und daraus resultierende Überflutungen zu vermeiden, sollten alle Entwässerungsgegenstände über der Rückstauebene (zumeist die Straßenoberkante, da bei Überlastung der Ortskanalisation das Abwasser über die Schächte austritt und daher der Wasserspiegel im Ortskanal nur bis dort ansteigen kann) angeordnet sein. Rückstausicherungen sind für Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene vorzusehen, sind jedoch nicht völlig zuverlässig, wenn diese nicht den einschlägigen Normen entsprechen. Da im Gebäude die Entwässerung nach dem Trennsystem zu erfolgen hat, darf die Fallleitung der Dachrinnen nicht auf die Grundleitung geschlossen werden. Dieses geschieht am besten im Revisionsschacht. Die Fallrohre sind über Dach zu entlüften, um ein Leersaugen von Geruchsverschlüssen zu verhindern sowie eine Abführung der Gerüche aus dem Kanalnetz zu ermöglichen. Aus diesem Grund sollten auch in Grundkanälen keine Geruchsverschlüsse vorgesehen sein.

Beim Hausanschlussschacht und im Entwässerungsnetz sollten Reinigungsöffnungen angeordnet werden. Als Material der Hauskanalisation wird zumeist Kunststoff, Grauguss oder Steinzeug eingesetzt. Die Materialwahl richtet sich nach der Aggressivität des Abwassers (bei Kleingewerbe), dem Rohrdurchmesser, der Verarbeitung und den Kosten.

Ortskanalisation

Hierzu gehören die Anschlusskanäle, die in Straßenkanäle münden, die zu Neben- und Hauptsammlern zusammengeführt werden. Es werden heutzutage meist Rohre mit der Bezeichnung DN 250 (Rohrdurchmesser 25 cm) bis DN 800 (80 cm) verwendet. Die Hauptsammler leiten die Abwässer einer Kläranlage zu. Neben dem Leitungsnetz gibt es Speicherbecken sowie Regenüberläufe und Regenbecken, die direkt in Vorfluter münden. Sind längere Strecken – wie im ländlichen Bereich – oder Höhenunterschiede zu überwinden, werden zusätzlich Pumpwerke eingesetzt. Als Material wurde in der Vergangenheit Grauguss oder Steinzeug eingesetzt. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wird im Zuge der technischen Entwicklung verstärkt Kunststoff verwendet.

Kanäle

Üblicherweise weisen Abwasserkanäle ein Gefälle von 0,5 bis 2 % und eine Nennweite zwischen 200 mm (oder DN 250 nach den neueren technischen Regeln) und teilweise von mehreren Metern auf. Die Kanäle sind in der Regel als so genannte Freispiegelleitungen ausgeführt, so dass der Wasserstand im Rohr unter dem Rohrscheitel liegt. Die Kanäle sind nur in Ausnahmefällen komplett mit Abwässern gefüllt (wie bei starken Regenereignissen bei Misch- oder Regenwasserkanalisation). In Sonderfällen (geringes Gefälle im Einzugsgebiet oder Transportleitungen) werden Unterdrucksysteme oder Druckleitungen verwendet. Ist das Rohrgefälle zu gering oder es sind Steigungen zu überwinden, müssen zusätzliche Pumpenanlagen vorgesehen werden. Zwischen längeren Rohrabschnitten liegen Kontrollschächte. Die Leitungen haben im Vergleich zu Trinkwasserleitungen große Querschnitte. Hauptabwassersammler in Ballungsräumen können begeh- und teilweise sogar mit Booten befahrbar (so das Geest-Stammsiel bei den Hamburger Landungsbrücken) ausgeführt sein. Für entlegene Ansiedlungen (abgelegene Gehöfte, Wochenendhaussiedlungen) werden in Ausnahmefällen auch Druck- oder Vakuumentwässerungen oder, um lange Kanäle zu vermeiden, dezentrale Kleinkläranlagen angewandt. Früher wurden Kanäle häufig aus Ziegeln aufgemauert oder in Ton- oder Steinzeugrohren ausgeführt. Je nach Medium und Belastung der Rohre werden heute Kanäle in den verschiedensten Materialien wie Faserbeton, Gusseisen, Stahl, Steinzeug, Kunststoff oder Beton ausgeführt.

Misch- und Trennsystem

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, das Schmutzwasser und das Regenwasser zu entsorgen. Entweder in einer gemeinsamen Leitung (Mischsystem oder Mischverfahren) oder in getrennt ausgeführten Leitungen (Trennsystem oder Trennverfahren). Beide Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile.

Kosten

Das Mischverfahren verursacht normalerweise geringere Baukosten für den Leitungsbau als das Trennverfahren, da nur ein Kanal notwendig ist. Kläranlagen und Pumpstationen jedoch sind für große Wassermengen zu bemessen und werden damit baulich und betrieblich teuer. Das Trennverfahren hat den Vorzug der kleineren Kläranlagen und Pumpstationen mit entsprechend niedrigeren Bau- und Betriebskosten. Preislich liegen daher beide Systeme in etwa gleichauf.

Wandel

Dem Mischsystem wurde früher häufig nicht nur wegen der geringeren Investitionskosten der Vorzug vor dem Trennsystem gegeben, da von relativ wenig Schmutzwasser ausgegangen und ein Starkregen als willkommene Spülung des Leitungsnetzes betrachtet wurde. Der seltene Überlauf des stark verdünnten Schmutzwassers über ein Regenüberlaufbauwerk in den Vorfluter konnte daher toleriert werden, dafür wurde bei Regenbeginn und bei kleineren Regen der Schmutz der Straßen vom Vorfluter ferngehalten.

Die zunehmende Besiedelung und Verlängerungen der Kanalleitungen führten und führen zu einer immer größer werdenden Schmutzwasser-Grundlast und die Überlastfälle werden häufiger. Dadurch entsteht Rückstau des Abwassers in Keller und Überschwemmungen von Straßen, die wegen der mitgeführten Fäkalien besonders unangenehm sind. Es entstehen weitere Entlastungsbauwerke und Rückstauverschlüsse. Die Fäkalien gelangen durch die Überlastfälle ungeklärt in den Vorfluter, was die biochemische Verschmutzung zu groß werden lässt oder es werden neue und größere Kanalisationen und Bauwerke erforderlich.

Seit den 1970er Jahren baute man daher vermehrt auf das Trennsystem. Inzwischen wird in der Städteplanung oft versucht, lediglich das Abwasser in einer Kanalisation abzuführen und Regenwasser vor Ort zu versickern, vorgeschrieben ist daher eine entsprechende Gestaltung. Auch die Kosten können hierdurch reduziert werden.

Sonderbauwerke

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Ein Sonderbauwerk ist ein Bauwerk des Abwassersystems, das kein Schacht und kein Kanal ist. Bauformen von Sonderbauwerken sind in dem Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 157 " Bauwerke der Kanalisation" beschrieben.

Regenentlastungsbauwerke

Ein Regenentlastungsbauwerk ist eine Einrichtung in einem Misch– oder modifizierten Mischsystem oder einer Kläranlage, die das System hydraulisch entlastet.

Folgende Bauwerke gelten als Regenentlastungsbauwerke:

  • Durchlaufbecken
  • Regenklärbecken
  • Regenrückhaltebecken
  • Regenüberläufe
  • Speicherbecken und Fangbecken
  • Stauraumkanäle

Das Kanalisationsnetz kann nicht auf das Ableiten der gesamten anfallenden Schmutz- und Regenabwässer dimensioniert werden. Daher müssen im Mischwasserkanalnetz Entlastungsbauwerke erstellt werden.

Über Regenüberläufe werden ab bestimmten Regenintensitäten und den damit zusammenhängenden Abwassermengen Teile des Abwassers zur Entlastung in einen Vorfluter abgezweigt.

Regenbecken

Die Regenbecken werden dort angeordnet, wo die Bedingungen zu einer Hochwasserentlastung unterschritten werden oder die Hochwasserentlastung zu häufig anspringt und den Vorfluter mit Schmutzwasser belastet.

Die Regenbecken können drei Funktionen übernehmen.

  1. Speichern des zu viel anfallenden Abwassers.
  2. Grobes Klären des überlaufenden Mischwassers.
  3. Fangen des ersten Schmutzstoßes, der vor allem vom Abspülen der Kanalablagerungen herführt.

Die Wirkung des Regenbeckens ist vom Verhältnis des Beckeninhaltes zur Größe des Einzugsgebietes abhängig.

Folgende Gründe gibt es für den Bau eines Regenbeckens.

  • Überlastete Netze können durch den Einbau von Regenbecken oft zweckmäßig saniert werden, ohne die bestehenden Kanäle zu vergrößern. Dabei sind je nach Gefälleverhältnissen auch Pumpen einzuschalten.
  • Beim Anschluss von neuen Baugebieten an eine vorhandene, nahezu ausgelastete Kanalisation besteht oft die Möglichkeit, das Schmutzabwasser und einen Teil des Regenabwassers, nicht aber die Abflussmengenspitzen, in den bestehenden Kanälen abzuführen. Hier lässt sich durch den Einbau eines Regenrückhaltebeckens die Erweiterung der vorhandenen Kanalisation umgehen.

Je nach Wirkungsweise werden unter dem Sammelbegriff „Regenbecken“ folgende Beckenarten unterschieden:

  • Regenrückhaltebecken (RRB)
  • Regenüberlaufbecken (RÜB)

Regenrückhaltebecken (RRB)

Regenrückhaltebecken speichern bei starken Regenfällen einen Teil der ankommenden Mischwassermenge und geben sie verzögert und gedrosselt wieder an die Kanalisation ab. Sie verhindern eine Überlastung im Kanalnetz, wo eine Entlastung unmöglich oder nicht erwünscht ist. Solche Becken müssen nicht in der Nähe von Vorflutern liegen. Sie besitzen meistens nur einen Ablauf ins Netz sowie einen Notüberlauf.

Regenüberlaufbecken (RÜB)

Regenüberlaufbecken stellen eine Kombination von Regenüberlauf und Regenrückhaltebecken dar. Die beiden Bauteile, Becken und Überlauf, lassen sich getrennt oder in einem Bauwerk vereinigt ausführen. Diese Becken besitzen einen Beckenablauf und einen oder mehrere Überläufe. Die Regenabwässer werden grob geklärt dem Vorfluter zugeführt. Der Beckeninhalt mit den zurückgehaltenen, abgesetzten Stoffen wird der Kläranlage zugeführt. Dadurch werden die Spitzen der Abflussmengen gebrochen und die abzuführenden Wassermengen verkleinert.

Das Regenüberlaufbecken wirkt bis zum Anspringen des Überlaufes als Rückhaltebecken. Erst im gefüllten Zustand, bei Überlaufbetrieb, wird es zum durchflossenen Klärbecken. Regenüberlaufbecken können im Haupt- oder Nebenschluss betrieben werden.

Damit eine optimale Bewirtschaftung der Regenbecken erfolgen kann, werden die Regenüberlaufbecken heute im Nebenschluss gebaut. Im Hauptschluss betriebene Becken liegen im zur Kläranlage führenden Kanal. Diese wichtige Anordnung ist nur bei ausreichendem Gefälle möglich, da die Beckenentleerung ständig und nur mit natürlichem Gefälle Richtung Kläranlage erfolgt. Die Beckenentleerung erfolgt erst nach Regenende mittels einer Pumpe. Bei genügenden Gefälleverhältnissen kann das Becken nach dem Regenende auch durch einen gesteuerten Schieber entleert werden, wie es hier in dem unterirdischen langgezogenen Becken in Köln der Fall ist.

Sie leiten mindestens den kritischen Mischwasserabfluss Qkrit zur Kläranlage weiter. Ergibt sich ein Mischverhältnis

mRÜ = (Qdr – Qt24) / Qt24 > 7, so ist das Mischverhältnis von mRÜ = 7 für den RÜ zugrunde zu legen.

Liegt die mittlere CSB-Konzentration im Trockenwetterabfluss ct über 600 mg/l, so ist das Mischverhältnis m zu erhöhen, um stärkere Verdünnungen zu erzielen:

mRÜ ¬¬> (ct – 180) / 60

Die Überläufe sind möglichst mit hochgezogenem Wehr auszubilden. Durchmesser eines Drosselrohres du > 0,2 m. Ein RÜ mit Bodenöffnung (Springüberlauf) ist bei schließendem Abfluss sinnvoll.

Ein RÜB sollte ein Mindestspeichervolumen haben. Vsmin = 3,60 + 3,84qr in m³/ha

Durchlaufbecken (DB) sollen Vs > 100m³ aufweisen,
Fangbecken (FB) sollen Vs > 50m³ haben.

Fangbecken (FB) im Nebenschluss

Ein Fangbecken dient dazu, den ersten Wasserstoß bei Regenereignissen aufzufangen und den Kanal zu entlasten. Sie werden im Normalfall vom Kanal durchflossen. Im Nebenschluss werden sie über Trennbauwerke beschickt. Nach Füllung des Beckens tritt der Beckenüberlauf in Aktion. Es entsteht kein Gefälleverlust. Bei Trockenwetter und kleinen Regen mit QR < Qab kein Zufluss zum Becken.Entleerung durch Pumpe mit konstanter zusätzlicher Beschickung des Klärwerks.

Im Hauptschluss geht der Klärwerkzufluss durch das Becken. Einfache Anordnung, kein Trennbauwerk, eventuell Gefälleverlust, Entleerung ohne Pumpe, Abfluss schwankend ohne Steuervorrichtung.

Durchlaufbecken (DB) im Nebenschluss

Durchlaufbecken haben zusätzlich einen Überlauf für geklärtes Wasser (Klärüberlauf), der vor dem Beckenüberlauf anspringt und das im Becken mechanisch geklärte Mischwasser zum Vorfluter leitet.

Stauraumkanäle (SK)

Stauraumkanäle mit oben liegender Entlastung werden in der Regel wie Fangbecken bemessen, sofern die Bedingungen für Fangbecken eingehalten werden können. Andernfalls sind sie wie Stauraumkanäle mit unten liegender Entlastung zu behandeln. Sie sind auch für Speichervolumen kleiner als 50 Kubikmeter sinnvoll.

Stauraumkanäle mit unten liegender Entlastung erhalten im vereinfachten Aufteilungsverfahren wegen der schlechteren Absetzwirkung einen Volumen-Zuschlag. Das spezifische Speichervolumen Vs ist wie für Regenüberlaufbecken zu ermitteln.

VSKU = 1,5 • Vs • Au in m³ Mit Vs in m³/ha = spezifisches Speichervolumen Au in ha = undurchlässige Fläche des zugehörigen Teileinzugsgebietes

In Nachweisverfahren sind die Besonderheiten für Stauraumkanäle mit unten liegender Entlastung zu beachten. Die Entleerungsdauer von Stauraumkanälen sollte kleiner als 15 Stunden sein. Das Mindestmischverhältnis ist wie für Regenüberlaufbecken festzulegen.

Organisation und Kosten

Geöffneter Abwasserschacht

Deutschland

Der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Kanalisation und der öffentlichen Abwasserbehandlungsanlagen (Kläranlagen) obliegen dem „Abwasserbeseitigungspflichtigen“, im Regelfalle der jeweiligen Kommune. Diese kann die Abwasserbeseitigungspflicht einem Dritten, beispielsweise einem Abwasserzweckverband, oder unter gewissen Voraussetzungen dem Grundstückseigentümer bei dem das Abwasser anfällt, zum Beispiel durch den Bau einer Kleinkläranlage, übertragen.

Für Neuanschlüsse an eine öffentliche Kanalisation kann je nach Abwassersatzung ein Anschlussbeitrag zu entrichten sein. Die Benutzungsgebühren werden bei Anschluss an ein zentrales Abwassernetz meistens das Schmutzwasser nach dem Trinkwasserverbrauch (Wahrscheinlichkeitsmaßstab) und das Niederschlagswasser nach angeschlossener versiegelter Fläche abgerechnet. Bei dezentralem Anschluss (Kleinkläranlage) wird gemäß der abgefahrenen Fäkalschlammmenge abgerechnet.

Österreich

Die Errichtung, Erhaltung und Betrieb von Abwasserbeseitigungsanlagen erfolgt durch Einzelpersonen, Betriebe und Unternehmungen, Wassergenossenschaften, Kommunen und Wasserverbände.

Die Verrechnung der Kanalisationskosten ist in Österreich Gemeindesache. Grundsätzlich gibt es für die laufenden Gebühren der Abwasserkanalisation drei Verrechnungsmodelle:

  • nach der Fläche der angeschlossenen Gebäudegeschosse (mehr im ländlichen Raum)
  • nach dem Wasserverbrauch aus der Trinkwasserleitung ((Wasserverteilungssystem), dieser Verteilungsschlüssel wird vermehrt im städtischen Bereich angewandt).
  • nach der Anzahl der angeschlossenen Klosettmuscheln kombiniert mit dem Wasserverbrauch (so in Graz). Wird mehr als die inkludierte Basiswassermenge verbraucht, erfolgt eine Verrechnung der Differenz nach der 2. Methode.

Außerdem sind beim Neuanschluss Anschlussgebühren zu entrichten.

Schweiz

Die Aufsicht über den Vollzug der Gesetze unterliegt in der Schweiz dem Bundesamt für Umwelt (BAFU).

Frankreich, Paris

Der Bau der Pariser Kanalisation nach 1850 vor allem durch/unter G. E. Baron Haussmann war ein Meilenstein in der Geschichte der Stadt. Das ganze System erstreckt sich über 2.100 km (Das Metro-Netz hat nur eine Länge von 300 km). Es entstand ein doppeltes Wassernetz unter der Erdoberfläche mit Leitungen für Frisch- und Abwasser. Zahlreiche, unterschiedlich große Reservoirs wurden unterirdisch mitten in der Stadt zur Regulierung des Wasserstandes gebaut. Ein hygienisches Problem waren die vielen, immer wieder überfluteten Friedhöfe in der Stadt, die in die Katakomben „verlegt“ wurden.

Dichtheitsprüfung

Mit der Dichtheitsprüfung nach DIN EN 1610 können neu erstellte oder sanierte Abwasserkanäle auf Dichtheit geprüft werden. Dazu werden alle Öffnungen des zu prüfenden Kanalabschnittes verschlossen und mit Luft oder Wasser abgedrückt. Die wiederkehrende Dichtheitsprüfung alter Kanäle wird mit geringeren Prüfdrücken durchgeführt.

Siehe auch

  • Kanalinspektion
  • Kanaldeckel
  • Krokodil im Kanal (Urban legend)
  • Regenwassereinlauf
  • Cross-Border-Leasing
  • Wiener Kanalisation
  • Kronleuchtersaal in der Kölner Kanalisation
  • Schlauchlining
  • Schluckvermögen
  • Kanalspülung
  • Abwasserwärmerückgewinnung

Literatur

  • Christian Berger, Johannes Lohaus: Zustand der Kanalisation – Ergebnis der DWA-Umfrage 2004. In: KA, Korrespondenz Abwasser, Abfall 52(5), S. 528–539 (2005), GFA, Gesellschaft zur Förderung der Abwassertechnik, Hennef, ISSN 1616-430X.
  • Alexandru Braha, Ghiocel Groza: Moderne Abwassertechnik : Erhebung, Modellstruktur, Scale up, Planung. Wiley-VCH, Weinheim 2006, ISBN 978-3-527-31270-2.
  • Willi Gujer: Siedlungswasserwirtschaft. 3. Auflage, Springer, Berlin 2007 ISBN 978-3-540-34329-5.
  • Wilhelm Hosang, Wolfgang Bischof: Abwassertechnik. 11. Auflage, Teubner, Stuttgart 1998, ISBN 3-519-15247-9.
  • Martin Illi; Stadtentwässerung Zürich (Hrsg.): Von der Schissgruob zur modernen Stadtentwässerung. NZZ Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1987, ISBN 3-8582-3173-8.
  • Klaus Mudrack: Biologie Der Abwasserreinigung. 5. Auflage, Spektrum, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-8274-2576-8.
  • Helmut Resch, Regine Schatz: Abwassertechnik verstehen: Ein kleines 1 x 1 der Abwassertechnik für Einsteiger und interessierte Laien. Hirthammer, Oberhaching 2010, ISBN 978-3-88721-204-9.

Weblinks

 Commons: Kanalisation (sewers) – Bilder und Mediendateien

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Wiktionary Wiktionary: Kanalisation – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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