Internationaler Code der Nomenklatur für Algen, Pilze und Pflanzen

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Der Internationale Code der Nomenklatur für Algen, Pilze und Pflanzen (ICN), bis 2011 Internationaler Code der Botanischen Nomenklatur (ICBN), (englisch International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants) ist ein Grundsatz-, Regel- und Empfehlungswerk zur Verwendung nomenklatorischer Fachausdrücke, Rangstufenbezeichnungen und der wissenschaftlichen Namensgebung von Pflanzen. Ziel des ICN ist es, jedem betroffenen Taxon einen eindeutigen wissenschaftlichen Namen zu geben. Durch diese Eindeutigkeit wird die Verständigung über diese Lebewesen verbessert.

Der ICN ist unabhängig von anderen Nomenklaturcodes, insbesondere den Internationalen Regeln für die Zoologische Nomenklatur (International Code of Zoological Nomenclature, ICZN). Für die lange Zeit unter den ICN fallenden Bakterien und Archaebakterien ist seit 1980 ein eigener Code gültig, der International Code of Nomenclature of Bacteria. Bei Kulturpflanzen mit ihren vielen Sortennamen wird der ICN ergänzt durch den Internationalen Code der Nomenklatur der Kulturpflanzen (ICNCP).

Geschichte

Historische Entwicklung

Ursprünglich orientierten sich alle Biologen an einer gemeinsamen Nomenklatur. Diese war allerdings nicht in einem verbindlichen Regelwerk festgelegt, sondern beruhte auf den Empfehlungen aus den entsprechenden Schriften von Linné (darunter Systema Naturae) und dessen Nachfolgern wie zum Beispiel der Schrift Théorie élémentaire de la botanique von Augustin-Pyrame de Candolle. Aufgrund ihrer Unverbindlichkeit und Lückenhaftigkeit boten diese Empfehlungen jedoch Problemen und Widersprüchen zu viel Raum. [1]

Die ersten Bemühungen um Nomenklaturcodes umfassten sowohl Pflanzen als auch Tiere. Der 1842 von der British Association for the Advancement of Science veröffentlichte, sogenannte Strickland Code war der erste Vorläufer der heutigen Codes. Dem Komitee, das ihn erarbeitete, gehörte Charles Darwin an [1]. Dieser Code war noch sehr einfach und übersichtlich und zahlreiche seiner Regeln finden sich noch in den heutigen Codes. Zugleich stellte eine seine Regeln aber auch den Anlass für die bis in die Gegenwart andauernde Spaltung zwischen Zoologen und Botanikern dar: Die Frage, ob als „Autor“ eines Taxons der Erstbeschreiber gelten solle oder der Bearbeiter, auf den die Platzierung in der entsprechenden Gattung zurückgehe.[2]

Auf dem Internationalen Botanischen Kongress 1867 in Paris stellte dann der Schweizer Alphonse de Candolle ein aus 68 Regeln bestehendes erstes Regelwerk vor, das sich ausschließlich an Botaniker richtete und zum Ursprung des ICBN wurde. Jede einzelne der von ihm vorgeschlagenen Regeln wurde von einer Kommission noch einmal überarbeitet, vom Kongress diskutiert und abschließend in Kraft gesetzt oder zurückgewiesen. Das so entstandene Regelwerk war der erste botanische Nomenklatur-Code.[2]

Dieses Regelwerk hielt mehrere Jahrzehnte lang, blieb aber zwischen Konservativen und Reformern umstritten. Der Code des Wiener Kongresses von 1905 war der erste richtige ICBN, löste aber wiederum neue Konflikte aus: Die neu eingeführte Regel, dass die Diagnosen neuer Taxa auf Latein verfasst sein mussten, um gültig zu sein, führte dazu, dass zahlreiche amerikanische Botaniker sich vom ICBN abwandten und sich über ein Vierteljahrhundert lang am American Code of Botanical Nomenclature des Botanikers Nathaniel Lord Britton orientierten.[2]

Mit dem 1930 in England beschlossenen Cambridge Code kehrte nicht nur die amerikanische Botanik zum ICBN zurück, sondern es wurde auch ein Regelwerk beschlossen, das ohne große Modifikationen bis ins 21. Jahrhundert die Grundlage aller weiteren Codes darstellte.[2]

Der 2011 in Australien beschlossene Melbourne Code erneuerte das Regelwerk vor allem hinsichtlich der Anforderungen an das 21. Jahrhundert. Der Titel des Codes wurde hier in International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants. geändert. Ab dem 1. Januar 2012 dürfen Erstbeschreibungen elektronisch publiziert werden und ihre Diagnosen alternativ auch auf Englisch statt auf Latein verfasst sein. Bei Pilzen wurde zum 1. Januar 2013 die separate Benennung von Anamorphe und Teleomorphe abgeschafft und in der Paläobotanik das Konzept der Morphotaxa.[3]

Übersicht über die bisherigen Codes

Übersicht über die Codes [4]
Kongressort Kongressjahr Offizielle Ausgabe Bemerkung
Paris 1867 1867
Wien 1905 1906
Brüssel 1910 1912
Cambridge 1930 1935 Inoffizielle Ausgabe 1934
Amsterdam 1935 1947
Amsterdam 1935 1950
Stockholm 1950 1952
Paris 1954 1956
Montreal 1959 1961
Edinburgh 1964 1966
Seattle 1969 1972
Leningrad 1975 1978
Sydney 1981 1983
Berlin 1987 1988 Weitere Ausgaben: 1988 (frz.) / 1989 (dt.)
Tokio 1993 1994 Weitere Ausgaben: 1995 (dt.) / 1996 (frz.)
St. Louis 1999 2000
Wien 2005 2006
Melbourne 2011 2012

Prozedere

Trotz der erreichten Stabilität des Codes gibt es immer wieder neue Vorschläge zur Änderung und Verbesserung des ICN. Diese müssen dem Ständigen Nomenklatur-Komitee schriftlich vorgeschlagen werden. Hält das Komitee die Änderung mehrheitlich für richtig, so muss dem noch der Internationale Botanische Kongress zustimmen, der alle sechs (früher alle fünf) Jahre stattfindet.[2]

Im Anschluss an den Kongress werden die Regelwerke dann unter dem jeweiligen Namen des Kongressortes veröffentlicht. So wird beispielsweise das Regelwerk des Kongresses 2005 in Wien kurz Vienna Code genannt, vorherige Codes Tokyo Code, St. Louis Code etc.

Grundlagen

Die Regeln des Code gelten rückwirkend bis zur Einführung der binären Nomenklatur durch Carl von Linné. Dies war am 1. Mai 1753 in den Species Plantarum der Fall, dieses Datum ist daher in allen Codes der zentrale Ausgangspunkt gültiger Veröffentlichung von Namen; zuvor vergebene Namen sind nicht gültig.

Für einige Organismengruppen gilt allerdings ein späteres „Startdatum“. Für die Moose (ohne Sphagnaceae und Hepaticae) gilt der 1. Januar 1801, für Pilze je nach Gruppe der 1. Mai 1753, der 31. Dezember 1801, der 1. Januar 1821 oder das Jahr 1832. Für Algen gilt zwar ebenfalls weitgehend der 1. Mai 1753, aber für die Nostocaceae homocysteae der 1. Januar 1892, für die Nostocaceae heterocysteae der 1. Januar 1886, für die Desmidiaceae der 1. Januar 1848 und die Oedogoniaceae der 1. Januar 1900. Fossile Pflanzen beginnen nomenklatorisch am 31. Dezember 1820.

Alle Namen müssen den jeweils im Code von heute festgelegten Regeln folgen. In einem wissenschaftlichen Text wird eine Art durch ihren Namen und den Autor angegeben. Der gültige wissenschaftliche Name eines Taxons beruht immer auf einer gedruckten Veröffentlichung, in der diese Art beschrieben und benannt ist. Der Code legt die Bedingungen hierfür fest. Dazu gehört seit dem 1. Januar 1935, dass der Benennung eine lateinische Beschreibung oder Diagnose der Art beigefügt ist.

Der Autorenname wird oft abgekürzt. Eine Liste mit Standardabkürzungen (Brummitt & Powell: Authors of plant names, 1992) wird von der ICN selbst verwendet, ihr Gebrauch ist im ICN auch empfohlen. Eine Online-Quelle für diese Kürzel ist IPNI[5].

Artnamen

Wissenschaftliche Artnamen bestehen immer aus zwei Wörtern (binäre Kombination). Sie sind in gedruckten Texten kursiv zu schreiben. Das erste Wort bezeichnet die Gattung, zu der die Art gehört. Die Weißtanne (Abies alba) gehört beispielsweise zur Gattung Abies (Tanne). Das zweite Wort (alba) wird als Art-Epitheton bezeichnet. Es dient dazu, die Art innerhalb der Gattung zu bezeichnen.

Der Gattungsname ist immer groß zu schreiben, das Art-Epitheton immer klein. Das Art-Epitheton ist oft ein Eigenschaftswort, es richtet sich dann im Geschlecht nach dem Gattungsnamen, was an der Endung deutlich wird.

Rangstufen

Unter dem Regelwerk der ICN sind die folgenden sieben Hauptrangstufen festgelegt:

Reich (lat. regnum)
Abteilung, oder Stamm (lat. divisio oder phylum)
Klasse (lat. classis)
Ordnung (lat. ordo)
Familie (lat. familia)
Gattung (lat. genus)
Art (lat. species)

Oft ist es jedoch wünschenswert, eine feinere Unterteilung vornehmen zu können. Zu diesem Zweck können die sieben Hauptränge bei Bedarf weiter in Nebenrangstufen gegliedert werden.

Familien können in Tribus (vom grammatikalischen Geschlecht her weiblich!) eingeteilt werden. Eine genaue deutsche Entsprechung zum Begriff Tribus existiert nicht. Gattungen können weiter in Sektionen (lat. sectio) und Serien (lat. series), Arten in Varietäten (varietas) und Formen (lat. forma) untergliedert sein. Aggregate (Abkürzung agg. = Sammelart, also eine Gruppe schwer zu unterscheidender Arten) und Artengruppen haben dagegen informellen Charakter und werden vom ICN nicht abgedeckt. Zusätzlich kann jede dieser 12 Abstufungen nochmals unterteilt werden, falls das nötig sein sollte. Im Lateinischen geschieht das durch das Präfix Sub- (also beispielsweise subregnum, subdivisio, subtribus, subspecies, subforma), was im Deutschen durch das Präfix Unter- ausgedrückt wird (Unterreich, Unterabteilung usw.).

Damit die Rangstufe nicht immer genannt werden muss, sind kennzeichnende Endungen für die Namen einiger Rangstufen vorgeschrieben.

Reich
-ota
Unterreich
-bionta
Abteilung
-phyta (bei Pflanzen), -mycota (bei Pilzen)
Unterabteilung
-phytina (bei Pflanzen), -mycotina (bei Pilzen)
Klasse
-opsida (bei Pflanzen), -phyceae (bei Algen), -mycetes (bei Pilzen)
Unterklasse
-idae (bei Pflanzen), -phycidae (bei Algen), -mycetidae (bei Pilzen),
Ordnung
-ales
Unterordnung
-ineae
Familie
-aceae
Unterfamilie
-oideae
Tribus
-eae
Subtribus
-inae

Daneben werden folgende Abkürzungen empfohlen:

Klasse
cl.
Ordnung
ord.
Familie
fam.
Tribus
tr.
Gattung
gen.
Sektion
sect.
Serie
ser.
Art
sp. (auch spec., Mehrzahl: spp.)
Unterart
subsp. (früher ssp.)
Varietät
var.
Form
f. (früher fo.)

Ist der Rangbezeichnung oder deren Abkürzung ein ‚notho‘ (altgr. für 'falsch') vorangestellt (nothogenus/nothogen., nothospecies/nothospec./nothosp., usw.), bezeichnet dies eine Hybride. Der Rang selbst ändert sich dadurch nicht.

Typus

Seit dem 1. Januar 1958 muss ein Typus-Exemplar bezeichnet werden, auf das die Beschreibung der Art gegründet ist. Ein Typus ist in der Botanik meist ein Exemplar, selten eine Abbildung. Der nomenklatorische Typus eines Namens ist von großer Bedeutung, da er den Namen fixiert, braucht dazu aber nicht der repräsentativste Bestandteil eines Taxons zu sein.

Wenn andere Botaniker ähnliche Pflanzen untersuchen, kann es notwendig sein, diese mit dem Typus zu vergleichen. Manchmal ist nur dadurch herauszufinden, ob die Pflanzen zur gleichen Art gehören oder nicht.

Wenn der Erstautor einer Art oder eines infraspezifischen Taxons seine Beschreibung nur auf ein einziges Exemplar gegründet hat, nennt man dieses Exemplar den Holotypus. Wenn der Erstautor mehrere Exemplare an einem Ort gesammelt und untersucht hat, kann er auch selbst eines davon zum Holotypus ernennen und die Duplikate als Isotypen. Wenn mehrere Exemplare von verschiedenen Orten herangezogen wurden, spricht man von Syntypen.

Falls der Holotypus verlorengeht oder vom Autor nicht festgelegt wurde, kann später aus den noch vorhandenen Isotypen oder Syntypen ein Lectotypus ausgewählt werden. Falls kein vom Autor vor seiner Veröffentlichung untersuchtes Originalmaterial existiert, kann es notwendig werden, ein neueres Exemplar, Neotypus genannt, festzulegen.

Prioritätsregel

Wenn zwei Autoren dasselbe Taxon beschreiben und benennen, ist der zuerst veröffentlichte Name korrekt (Prioritätsprinzip). Bei Rangstufen oberhalb der Familie (sowie bei einer Unterfamilie) gilt der Grundsatz der Priorität allerdings nicht immer, da dort historisch gewachsene Namen vorliegen.

Beispiele für Namen solch höherer Ränge sind Plantae, Angiospermae und Monocotyledones; des Weiteren gilt dies für neun Namen von Familien (Leguminosae, Palmae, Umbelliferae, Gramineae, Cruciferae, Guttiferae, Labiatae, Compositae, Papilionaceae) und der Name einer Unterfamilie (Papilionoideae). In allen anderen Fällen ist für ein Taxon mit bestimmter Umgrenzung, Stellung und Rangstufe nur ein korrekter Name erlaubt.

Eine strenge Anwendung der Regel der Priorität hätte dazu geführt, dass man diese lang eingeführten Namen hätte ändern müssen. Deshalb hat man hier Ausnahmen zugelassen. Sie werden in einer besonderen Liste der Nomina conservanda im Anhang des Code geführt. Hier können auch weitere Ausnahmen neu hinzukommen. Sie müssen durch eine Abstimmung bei einem Internationalen Botaniker-Kongress genehmigt werden.

Niedere Ränge

Bei Rangstufen unterhalb der Art ist der Name eine Kombination des Artnamens mit dem zusätzlichen Epitheton verbunden durch die Rangstufe. Beispielsweise heißt eine Varietät insanum von Solanum melongena: Solanum melongena var. insanum. Auch dabei richtet sich das Epitheton, wenn es ein Eigenschaftswort ist, im Geschlecht (wie beim Art-Epitheton) nach dem Gattungsnamen. Solche Namen haben also drei Teile. Das Art-Epitheton und die Rangstufe dürfen dabei – anders als in der zoologischen Nomenklatur – nicht weggelassen werden.

Rangwechsel

Will man eine Pflanzensippe in ihrem Rang höher oder tiefer einstufen, als das bisher der Fall war, so muss man das als eine neue Namenskombination zusammen mit der neuen Rangstufe veröffentlichen. Dazu sollte man aber den zweiten Namen – das Epitheton – auch in der neuen Rangstufe verwenden, außer wenn das nicht möglich ist, nämlich weil es diese neue Namenskombination schon gibt. Der Autor des ursprünglichen Namens, des so genannten Basionyms, ist dann in Klammern dahinter anzugeben, er wird also beibehalten, zusätzlich folgt der Name dessen, der die neue Kombination durchgeführt hat. Dies gilt auch für den Fall, dass eine Art von einer Gattung in eine andere gestellt wird. Das ist anders als bei den Regeln für die Zoologie, dort steht nur der Klammerautor (= Basionym-Autor) ohne weitere Namen. Beispiel: Die Gemeine Fichte hieß bei LinnéPinus abies L.“. Hermann Karsten hat die Art 1881 neu kombiniert: Er stellte sie in die Gattung Picea und übernahm dabei den hinteren Namensteil „abies“. Hieraus ergab sich „Picea abies (L.) H. Karst.“ als neuer botanischer Name.

Literatur

  • John McNeill et al.: International Code of Nomenclature for algae, fungi, and plants (Melbourne Code). In: Regnum Vegetabile. Band 154, A.R.G. Gantner, Ruggell 2012, ISBN 978-3-87429-425-6 Online-Version (engl.).
  • John McNeill et al.: International Code of Botanical Nomenclature (Vienna Code). In: Regnum Vegetabile. Band 146, Koeltz Scientific Books, Königstein 2006, ISBN 3-906166-48-1, Online-Version (engl.).
  • Werner Greuter et al.: International Code of Botanical Nomenclature (Saint Louis Code). In: Regnum Vegetabile. Band 138, Koeltz Scientific Books, Königstein 2000, ISBN 3-904144-22-7, Online-Version (engl.).
  • Werner Greuter et al.: International Code of Botanical Nomenclature (Tokyo Code). In: Regnum Vegetabile. Band 131, Koeltz Scientific Books, Königstein 1994, ISBN 3-87429-367-X, Online-Version (engl.), Übersetzung (deutsch).

Nachweise

  1. 1,0 1,1 Dan H. Nicolson: A history of botanical nomenclature. In: Annals of the Missouri Botanical Garden. Band 78, 1991, S. 33–56.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Judith Winston: Describing Species: Practical Taxonomic Procedure for Biologists. Columbia University Press, 1999, ISBN 0-231-06825-5, S. 27–29.
  3. James S. Miller, Vicki A. Funk, Warren L. Wagner, Fred Barrie, Peter C. Hoch, Patrick Herendeen: Outcomes of the 2011 Botanical Nomenclature Section at the XVIII International Botanical Congress. In: PhytoKeys. Band 5, 2011, S. 1–3, doi:10.3897/phytokeys.5.1850.
  4. Gerhard Wagenitz: Wörterbuch der Botanik. 2. Auflage. Nikol, Hamburg 2008, ISBN 978-3-937872-94-0, S. 66–67 (Nachdruck von 2003).
  5. IPNI

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