Polychlorierte Biphenyle

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PCB-Kongenere
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n= 0, 1, 2, 3, 4 oder 5)

Polychlorierte Biphenyle (PCB) (polychlorierte Diphenyle, Chlordiphenyl, engl. chlorinated diphenyls) sind giftige und krebsauslösende organische Chlorverbindungen, die bis in die 1980er Jahre vor allem in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren, in Hydraulikanlagen als Hydraulikflüssigkeit, sowie als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen, Isoliermitteln und Kunststoffen verwendet wurden. PCB zählen inzwischen zu den zwölf als „dreckiges Dutzend“ bekannten organischen Giftstoffen, welche durch die Stockholmer Konvention vom 22. Mai 2001 weltweit verboten wurden. PCB haben sich überall auf der Erde ausgebreitet, sie sind in der Atmosphäre, den Gewässern und im Boden allgegenwärtig nachweisbar.

Herstellung

Ab 1929 wurden industrielle Synthesen zur Herstellung von polychlorierten Biphenylen entwickelt. Hierbei wird Biphenyl mit Eisen bzw. Eisen(III)-chlorid als Katalysator mit Chlor zur Reaktion gebracht. Je nach Reaktionsbedingungen bilden sich unterschiedlich stark chlorierte Biphenyle. Der bei der Substitutionsreaktion entstandene Chlorwasserstoff wird mit Natronlauge neutralisiert. Das Gemisch von polychlorierten Biphenylen wird anschließend destillativ gereinigt bzw. aufgetrennt. Handelsprodukte kamen als Askarele beispielsweise unter dem Namen Aroclor (Firma Monsanto) zum Einsatz. Der Chlorgehalt lag hierbei zwischen 21 % (Aroclor 1221) und 68 % (Aroclor 1268).[1]

Eigenschaften

PCB besitzen ein Biphenyl-Grundgerüst (zwei über eine Einfachbindung verknüpfte Benzolringe) an dem ein oder mehrere Wasserstoff- durch Chloratome ersetzt sind. Die allgemeine Summenformel lautet somit C12H10−xClx.

PCB sind gelbliche, in reiner Form fast geruchlose Flüssigkeiten. Polychlorierte Biphenyle sind thermisch und chemisch stabil, schwer entflammbar, elektrisch nicht leitend und superhydrophob. Sie haben eine relativ hohe Dichte von 1,4 g/ml. Der biologische Abbau findet bei hochchlorierten PCB unter anaeroben Bedingungen statt, indem die Chloratome als Elektronenakzeptoren benutzt werden, eine sogenannte Chloratmung. Gering chlorierte PCB können aerob oder anaerob abgebaut werden. Da PCB-abbauende Organismen nicht allein von PCB – die keinen Stickstoff enthalten – leben können und in den meisten Fällen wichtige Nährstoffe auch woanders gefunden werden können, werden PCB biologisch kaum abgebaut. Ihr Abbau bringt den Bakterien keinen Vorteil, und es gibt nur wenige Stämme, welche die Gene für die entsprechenden Enzyme aufweisen.[2]

Nach einer Massenvergiftung mit PCB-kontaminierten Lebensmitteln 1968 in Japan (Yusho-Krankheit) wurden Herstellung und Anwendung von PCB 1978 zuerst in offenen Systemen und 1989 generell verboten. Seit Ende der Übergangsfrist 1999 müssen PCB-Altlasten gemeldet und als Sondermüll entsorgt werden. In Deutschland findet dies z. B. in der Untertagedeponie Herfa-Neurode statt. PCB belastet sein können alte Kondensatoren, u. a. in Leuchtstofflampen-Leuchten, Waschmaschinen, Wäscheschleudern und anderen älteren Geräten mit Kondensatormotor sowie industriellen Anlagen zur Blindstromkompensation.

Typischer PCB-haltiger Kondensator von einem Kondensatormotor (Wäscheschleuder, DDR, Baujahr ca. 1979)

In der Kondensatorenfertigung wurden früher PCB und PCB-haltige Isolieröle (Chlordiphenyl, Askarele) eingesetzt. Die Kondensatoren können bei mechanischer Zerstörung und durch Zersetzungsprozesse undicht werden und die Umgebung kontaminieren. Chlordiphenyl riecht gegenüber anderen Isolierölen bereits in kleinsten Mengen intensiv fruchtig und kann bereits bei Hautkontakt vom Körper aufgenommen werden. Chlordiphenyl-haltige Kondensatoren wurden in der DDR ab einem bestimmten Zeitpunkt als solche gekennzeichnet (Aufdruck „Chlordiphenyl“).

Kongenere der PCB

Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind eine Gruppe von 209 Kongeneren chlorierter Substanzen, die sich durch unterschiedliche Anzahl und Stellung der Chloratome am Biphenyl unterscheiden:

Übersicht der Kongenere
PCB-Homolog CAS-Nummer Cl-Substituenten Anzahl Isomere
Monochlorbiphenyl 27323-18-8 1 3
Dichlorbiphenyl 25512-42-9 2 12
Trichlorbiphenyl 25323-68-6 3 24
Tetrachlorbiphenyl 26914-33-0 4 42
Pentachlorbiphenyl 25429-29-2 5 46
Hexachlorbiphenyl 26601-64-9 6 42
Heptachlorbiphenyl 28655-71-2 7 24
Octachlorbiphenyl 55722-26-4 8 12
Nonachlorbiphenyl 53742-07-7 9 3
Decachlorbiphenyl 2051-24-3 10 1

Seit 1980 ist eine Nummerierung der PCB gebräuchlich, um die einzelnen Kongenere kurz und eindeutig zu benennen. Eine Liste findet sich im Artikel der englischen Wikipedia.[3]

Auswirkungen auf die Gesundheit

Die akute Toxizität von PCB ist gering, wohingegen eine chronische Toxizität schon bei geringen Mengen festzustellen ist.

Typische Auswirkungen dieses Giftes sind Chlorakne, Haarausfall, Hyperpigmentierungen, Leberschäden, Teratogenität, Bioakkumulation in der Nahrungskette und Schädigung des Immunsystems (Immuntoxizität). PCB stehen auch in Verdacht, krebserregend zu sein. Außerdem kann die körperliche und geistige Entwicklung durch PCB verzögert werden. Sie stehen in Verdacht, endokrine Disruptoren zu sein, die hormonell wirken und für Unfruchtbarkeit bei Männern und männlichen Tieren, Hodenhochstand sowie für andere hormonell bedingte Erkrankungen verantwortlich sein könnten. Eine EU-Untersuchung hat festgestellt, dass Phthalate, Parabene, und PCB unter anderem den Hormonhaushalt von männlichen Föten und Kindern stören, und so zu einer Feminisierung führen.[4][5]

Die chronische Toxizität macht PCB als Haushaltsgift, z. B. aus alten, mechanisch zerstörten Kondensatoren, besonders gefährlich, denn für gewöhnlich ist die Aufenthaltsdauer immunschwacher Menschen (also Kinder, kranker und alter Menschen) in Innenräumen ohnehin besonders hoch. Aufgrund der Anreicherung im Fettgewebe sind selbst kleinste laufend aufgenommene Mengen schädlich. Das Gift reichert sich in Organismen am Ende der Nahrungskette an. Vor diesem Hintergrund sind die Bewertungen einmaliger Kontaminationen zu sehen (z. B. der Futtermittel- bzw. Schweinefleisch-Verunreinigungsfall Anfang Dezember 2008 in Irland[6]): eine einmalige Aufnahme von Nahrungsmitteln mit hundertfach höherem Gehalt an PCB, als der Grenzwert es zulässt, ist zwar bedenklich, führt aber zu keinen akuten Vergiftungserscheinungen, da der Grenzwert für eine tägliche, lebenslange Aufnahme unter Berücksichtigung der Anreicherung getroffen wurde.

Als Folge von Havarien und unsachgemäßem Abfallmanagement haben sich PCB in der Umwelt verteilt und reichern sich am Ende der Nahrungskette an und können mittlerweile sogar in Fischen in der Antarktis, in Muttermilch und in menschlichem Fettgewebe nachgewiesen werden.

Aufgrund ihrer Fettlöslichkeit werden PCB auch bei bloßem Hautkontakt vom Körper aufgenommen. In PCB-belasteten Gebäuden kann es zu einer erhöhten Innenraumbelastung mit PCB kommen. Bei Personen, die sich in diesen belasteten Räumen aufhalten, können teilweise erhöhte PCB-Werte im Blut nachgewiesen werden.[7]

Defekte Kondensatoren oder Kontaminationen können anhand des fruchtigen Geruchs identifiziert werden – Öle auf Basis von Kohlenwasserstoffen riechen dagegen kaum.

Im August 2003 wurde ein Vergleich geschlossen, um Einwohner der Stadt Anniston in Alabama, die jahrelang mit Wissen Monsantos den gesundheitsschädlichen Nebenprodukten der PCB-Erzeugung ausgesetzt waren, zu entschädigen. (Die Produktion wurde zwar bereits 1976 gesetzlich untersagt, doch zog sich der Prozess über Jahrzehnte hin.) Monsanto zahlte 390 Millionen US-Dollar, Versicherungen 160 Millionen und Solutia 50 Millionen. Andere Kosten wie für Entsorgung sollen 100 Millionen betragen haben, so dass sich der Gesamtumfang auf 700 Millionen US-Dollar belief.[8][9]

Im Juni 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen Geschäftsführung und Betriebsleitung der Envio Recycling GmbH & Co. KG. Sie sollen von Mai 2006 bis Mai 2010 behördliche Vorgaben vorsätzlich verletzt haben und dabei unter anderem eine PCB-Kontamination ihrer Beschäftigten in Kauf genommen haben. Die Anklage erfolgte in vier Fällen, darunter Körperverletzung.[10]

PCB-Richtlinie

Die PCB-Richtlinie kennt zwei Grenzwerte für PCB: den Vorsorge- und Grenzwert (300 bzw. 3000 ng/m³ Raumluft). Daneben gibt es Höchstmengen für das Vorkommen von PCB in Lebensmitteln; sie sind in der so genannten Schadstoff-Höchstmengenverordnung aufgeführt.

  • Räume mit über 3000 ng/m³ müssen sofort saniert werden.
  • In Räumen mit über 300 ng/m³ ist nach Möglichkeit der Grund der Belastung zu beseitigen, der Raum sollte möglichst gut gelüftet werden, um die Konzentration so gering wie möglich zu halten.

Grenzwerte

Bereich Grenzwerte Quelle
toxikologisch begründeter Gefahrenwert 200 ng/m³ für Aufenthalt weniger als 7 Stunden
70 ng/m³ für Aufenthalt mehr als 7 Stunden
[11]
toxikologisch begründeter Raumluftvorsorgewert 20 ng/m³ für Aufenthalt weniger als 7 Stunden
10 ng/m³ für Aufenthalt mehr als 7 Stunden
[11]
momentan gültige Raumluft-Interventionswerte für Innenräume 3000 ng/m³ In einigen Bundesländern wird dieser Wert auf die Aufenthaltsdauer umgerechnet, d. h. 9000 ng/m³ für Schulen und Arbeitsplätze [12]
momentan gültige Raumluft-Vorsorgewerte für Innenräume 300 ng/m³ In einigen Bundesländern wird dieser Wert auf die Aufenthaltsdauer umgerechnet, d. h. 900 ng/m³ für Schulen und Arbeitsplätze [12]
momentan gültiger Luftgrenzwert für Arbeitsplätze mit bekanntem Schadstoffumgang Vor dem Verwendungs- und Herstellungsverbot von PCB im Jahr 1989 galten folgende MAK-Werte (Maximale Arbeitsplatzkonzentration):

54 % Chlor (z. B. Clophen A50): 0,7 mg/m³ (andere Angaben: 0,5 mg/m³)
42 % Chlor (z. B. Clophen A30): 1,1 mg/m³ (andere Angaben: 1,0 mg/m³)
»Beim Umgang mit hautresorptiven Stoffen (wie PCB) ist die Einhaltung des Luftgrenzwertes für den Schutz der Gesundheit nicht ausreichend. Durch organisatorische und arbeitshygienische Maßnahmen ist sicherzustellen, dass der Hautkontakt mit diesen Stoffen unterbleibt.«

[13]
Luftgrenzwert für Schwangere Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat im Jahr 2002 empfohlen, für schwangere Arbeitnehmerinnen den Vorsorgewert von 300 ng/m³ (bezogen auf 24 Stunden) einzuhalten. [14]
Grenzwert für Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse Materialien, die mehr als 50 mg PCB/kg enthalten, dürfen nur in einer hierfür zugelassenen Anlage entsorgt werden. [14]

Analytik

Anfangs bereitete die Analytik von PCB in Umweltproben Schwierigkeiten, was auch zu einer späten Entdeckung von PCB in der Umwelt führte, weil chemisch ähnliche Pestizide und Insektizide wie DDT den Nachweis erschwerten. Zur Bestimmung wird die Probe zunächst mit einem organischen Lösungsmittel (z. B. Hexan) extrahiert und anschließend die PCBs über säulenchromatographische Verfahren angereichert. Die anschließende quantitative Analyse von PCBs erfolgt dann mit gaschromatographischen Verfahren.[15][1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1  Werner Müller, Friedhelm Korte: Polychlorierte Biphenyle – Nachfolger des DDT?. In: Chemie in unserer Zeit. 7, Nr. 4, 1973, ISSN 0009-2851, S. 112−119, doi:10.1002/ciuz.19730070404.
  2. Chang, Oh, Haddock: 4-Chlorobiphenyl Pathway Map Stand: 15. August 2011.
  3. Liste mit PCB in der englischen Wikipedia.
  4. The Guardian: Two-year-olds at risk from ‘gender-bending’ chemicals, report says (Englisch) vom 6. November 2009.
  5. Telegraph.co.uk: Why boys are turning into girls (Englisch) vom 23. Oktober 2009.
  6. Bundesinstitut für Risikobewertung: Dioxinähnliche PCB in Schweinefleisch aus Irland, 7. Dezember 2008.
  7. Gerhard Volland, Bernd Schilling, Thomas Gabrio, Bernhard Link, Iris Zöllner: Dioxinähnliche polychlorierte Biphenyle (PCB) in der Innenraumluft. Gefahrstoffe – Reinhaltung Luft 69(3), S. 83–89 (2009), ISSN 0949-8036.
  8. „Monsanto Hid Decades Of Pollution. PCB Drenched Ala. Town, But No One Was Ever Told“, Washington Post, 1. Januar 2002 (zum Anniston-Prozess).
  9. Artikel zum Anniston-Prozess auf der Website der Organic Consumers Association.
  10. Der Westen: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage im Fall Envio. In: DerWesten. 24. Juni 2011
  11. 11,0 11,1 Toxikologische Bewertung polychlorierter Biphenyle (PCB) bei inhalativer Aufnahme, Studie des Landesumweltamtes NRW, 2002.
  12. 12,0 12,1 PCB-Richtlinie Nordrhein-Westfalen Stand: 3. Juli 1996.
  13. Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 900) „Luftgrenzwerte“ S. 8, S. 22.
  14. 14,0 14,1 PCB/PCT-Abfallverordnung in der Fassung vom 20. Oktober 2006.
  15. Hans-Ulrich Maier: Analyse von Umweltproben – Qualitative und quantitative Analysen von PVBs und PBDEs, LABO, Mai 2010, 8–9.

Literatur

  • Peter Kredel: Herstellung und Verwendung von PCB in der chemischen Industrie. In: Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft, Band 71, Heft 1/2 (2011), S. 7–9, ISSN 0949-8036
  • Hans Drexler, Thomas Kraus: Biomonitoring polychlorierter Biphenyle. In: Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft, Band 71, Heft 1/2 (2011), S. 20–24, ISSN 0949-8036

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