Optische Reinheit

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Die optische Reinheit ist ein Begriff aus der Chemie, genauer aus der Stereochemie, zur Beschreibung der Zusammensetzung eines Gemisches von Enantiomeren (zueinander spiegelbildliche chirale Moleküle). Die optische Reinheit (englisch optical purity, op) ist durch folgende Gleichung definiert:

$ {\text{optische Reinheit }}(\%)={\frac {[\alpha ]_{\text{gemessen}}}{[\alpha ]_{\text{maximal}}}}\cdot 100 $

Darin ist [α]gemessen der spezifische Drehwinkel des chemisch reinen Enantiomerengemisches und [α]maximal die spezifische Drehung eines reinen Enantiomers unter gleichen Messbedingungen.

„Optische Reinheit“ = Enantiomerenreinheit?

Unter der Bedingung idealen Verhaltens (keine Wechselwirkung zwischen den Enantiomeren sowie Gültigkeit des Lambert-Beerschen Gesetzes) ist die optische Reinheit gleich der Enantiomerenreinheit (engl. enantiomeric excess, ee).[1] Dies hat zu der weit verbreiteten aber falschen Einschätzung geführt, dass die Begriffe optische Reinheit und Enantiomerenreinheit synonym verwendet werden können, weil die traditionelle Methode zur stereochemischen Charakterisierung von Enantiomerengemischen die Drehwert-Messung war. Heutzutage wendet man zur stereochemischen Charakterisierung von Enantiomerengemischen jedoch chromatographische Methoden (Dünnschichtchromatographie,[2][3][4][5] Gaschromatographie[6] oder Hochdruckflüssigkeitschromatographie unter Verwendung chiraler stationärer Phasen) oder spezielle NMR-Techniken[7] an, die es erlauben, die Konzentration jedes einzelnen Enantiomers in einem Enantiomerengemisch individuell zu messen.

Eine generelle Äquivalenz zwischen optischer Reinheit und Enantiomerenreinheit gibt es nicht. Beispiele:

  • Der spezifische Drehwert von (S)-2-Ethyl-2-methylbernsteinsäure ist abhängig von der Konzentration
  • Der Zusammenhang zwischen optischer Reinheit und Enantiomerenreinheit ist nicht linear, wie Horeau 1969 zeigte: Reine (S)-2-Ethyl-2-methylbernsteinsäure hat bei 22 °C einen spezifischen Drehwert von [α]D= + 4,4° (c = 15, CHCl3). Daraus berechnete Horeau einen spezifischen Drehwert von [α]D= + 2,2° (c=15, CHCl3) für ein Gemisch aus 75 % der (S)-Form und 25 % der (R)-Form, entsprechend einem Enantiomerenüberschuss von 50 % ee. Die experimentelle Überprüfung ergab jedoch einen gemessenen spezifischen Drehwert von [α]D= + 1,6° (c = 15, CHCl3) für dieses Enantiomerengemisch, was einer optischen Reinheit von 36 % entspricht. Dieser Effekt trat nur bei der Verwendung von schwach polaren Lösungsmitteln (Methylenchlorid, Chloroform, Benzol) auf; die Diskrepanz zwischen optischer Reinheit und Enantiomerenreinheit trat nicht auf, wenn polare Lösungsmittel (Ethanol, Pyridin, Acetonitril) benutzt wurden.[8]
  • Der spezifische Drehwert von enantiomerenreinem 1-Phenylethanol kann durch Verunreinigungen an Acetophenon gesteigert werden.

Der Begriff Enantiomerenüberschuss (engl. enantiomeric excess, ee) wurde 1971 durch Morrison und Mosher geprägt.[9] Heutzutage wird der Begriff Enantiomerenüberschuss ee zunehmend durch den Begriff Enantiomerenverhältnis (engl. enantiomeric ratio, er) ersetzt, dabei wird ein Enantiomerengemisch charakterisiert durch das Mengenverhältnis [S]:[R] oder [R]:[S].[10] Mit dem gleichen Argument wird der schwammige Begriff Diastereomerenüberschuss (engl. diastereomeric excess, de) zunehmend ersetzt durch den Begriff Diastereomerenverhältnis (engl. diastereomeric ratio, dr).

Einzelnachweise

  1. Bernhard Testa: Grundlagen der Organischen Stereochemie, Verlag Chemie, Weinheim, 1983, ISBN 3-527-25935-X, S. 144–145.
  2. K. Günther, J. Martens, M. Schickedanz: Dünnschichtchromatographische Enantiomerentrennung mittels Ligandenaustausch. In: Angew. Chem. 96, 1984, S. 514–515, doi:10.1002/ange.19840960724.
  3. K. Günther: Thin-layer chromatographic enantiomeric resolution via ligand exchange. In: Journal of Chromatography. 448, 1988, S. 11–30, doi:10.1016/S0021-9673(01)84562-3.
  4. K. Günther, M. Schickedanz, J. Martens: Thin-Layer Chromatographic Enantiomeric Resolution. In: Naturwissenschaften. 72, 1985, S. 149–150, doi:10.1007/BF00490403.
  5. Teresa Kowalska, Joseph Sherma (Herausgeber): Thin Layer Chromatography in Chiral Separations and Analysis. CRC Press Taylor & Francis Group, Chromatographic Science Series Band 98, 2007, ISBN 978-0-8493-4369-8.
  6. Kurt Günther, Jürgen Martens und Maren Messerschmidt: Gas Chromatographic Separation of Enantiomers: Determination of the Optical Purity of the Chiral Auxiliaries (R)- and (S)-1-Amino-2-methoxymethylpyrrolidine. In: Journal of Chromatography. 288, 1984, S. 203–205.
  7. Ernest L. Eliel, Samuel H. Wilen: Stereochemistry of Organic Compounds. John Wiles & Sons, 1994, ISBN 0-471-05446-1, S. 221–240.
  8. Ernest L. Eliel, Samuel H. Wilen: Stereochemistry of Organic Compounds. John Wiles & Sons, 1994, ISBN 0-471-05446-1, S. 219–221.
  9. Morrison, James D.; Mosher, Harry S.: Asymmetric Organic Reactions, Prentice-Hall, Englewood Cliff, New Jersey, 1971 (ISBN 0130495514).
  10. Robert E. Gawley: Do the Terms "% ee" and "% de" Make Sense as Expressions of Stereoisomer Composition or Stereoselectivity? In: J. Org. Chem..71, 2006, S. 2411–2416, doi:10.1021/jo052554w.

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