Geschiebe

Erweiterte Suche

Geschiebemergel mit darin eingestreuten Geschieben; Aufschluss bei Stolpe (Landkreis Uckermark)
Kirchenmauer aus Geschieben in Angermünde

Als Geschiebe bezeichnet man in den Geowissenschaften das Gesteinsmaterial, das von einem Gletscher transportiert wurde, in der Ökologie (einschließlich Limnologie) und im Wasserbau die von einem Fließgewässer an seinem Grund transportierten Feststoffe, nicht jedoch die in der Wassersäule schwebenden.

Fachbegriff der Geowissenschaften

In der Geologie und der Geographie ist die Definition des Geschiebes beschränkt auf glazigene Sedimente. Das von Gletschern abgelagerte Gesteinsmaterial bildet im unverfestigten Zustand Geschiebemergel (karbonathaltig) und -lehm (karbonatfrei) oder, zu Festgestein umgewandelt, Tillite. Das gröbere Material innerhalb dieser Ablagerungen wird als Geschiebe (engl.: glacial erratic boulder) bezeichnet. Es weist infolge des Eistranports vielfach charakteristische Schrammen (Gletscherschrammen) auf und wird dann gekritztes Geschiebe genannt. Vom Gletscher transportiertes Geschiebe ist meist nur kantengerundet. Große Geschiebe (mehr als 1 m³) bezeichnet man als Findlinge.

Die Geschiebekunde befasst sich intensiv mit dem einzelnen Gestein, dessen Entstehungs- und Herkunftsgeschichte. Dabei unterscheidet sie zwischen Sedimentärgeschieben (aus Ablagerungsgesteinen) und Kristallingeschieben (aus magmatischen und (metamorphen Gesteinen).

Bei Findlingen nordeuropäischer Herkunft handelt es sich meist um magmatische Gesteine, wie Granit, oder um metamorphe Gesteine. Sedimentgesteine sind, auch auf Grund geringerer Widerständigkeit, deutlich seltener. Typische Gesteine sind:

Geschiebeherkunft im Naturerlebnisraum Burg am Waldmuseum
Herkunft der Geschiebe

Eine besondere Kategorie innerhalb der Geschiebe bilden die Leitgeschiebe, deren Herkunftsgebiet eng begrenzt und genau bekannt ist. Sie erlauben dadurch Rückschlüsse auf den vom Eis zurückgelegten Weg. Typische Leitgeschiebe für das nördliche Mitteleuropa stammen aus Skandinavien, z. B. die Rhomben-Porphyre aus dem Gebiet um Oslo oder der Åland-Rapakiwi von den Ålandinseln in der Ostsee. In den Alpen ist z. B. der Julier-Granit ein Leitgeschiebe für den im Eiszeitalter auch über das heutige Einzugsgebiet hinaus geströmten Inngletscher (Transfluenz).

Die aus skandinavischen Sedimentärgeschieben geborgenen Fossilien entstammen meist Schichtfolgen, die in Deutschland nicht aufgeschlossen sind. Sie sind daher auch für Sammler wertvoll. Dazu gehören Trilobiten, Brachiopoden und Orthoceraten (Nautiloideen) aus Gesteinen des Erdaltertums. Viele fossile Arten sind bisher allein aus Geschieben bekannt, darunter das berühmte Xenusion aus dem Unterkambrium[1].

Im nördlichen Mitteleuropa stammen fast alle Geschiebearten aus Skandinavien oder dem Ostseebecken, da in Norddeutschland, Dänemark oder Nordpolen Festgesteine nur in wenigen, kleinen Arealen an der Oberfläche ausstreichen. Geschiebe aus diesen Vorkommen findet man vorwiegend in der Nähe des Anstehenden. Solche sogenannten Lokalgeschiebe sind das Holsteiner Gestein, der Sternberger Kuchen[2] oder das Heiligenhafener Gestein.

An der Erdoberfläche liegende Geschiebe wurden durch vom Wind verdrifteten Sand geschliffen. Es bildeten sich die charakteristischen Windkanter, besonders zahlreich im Altmoränenland.

Verwendung glazialer Geschiebe

Geschiebegarten "Nordisches Plateau" am Geiseltalsee

Glaziale Geschiebe werden im nördlichen Mitteleuropa von alters her als Baustein verwendet. Ihre Nutzung begann in prähistorischer Zeit mit der Errichtung der Hünengräber. Im Mittelalter wurden zahlreiche Kirchen, aber auch Profanbauten aus Geschieben (Feldsteinen) errichtet. In der Neuzeit verwendete man sie zur Pflasterung der Straßen. Aktuell sind Geschiebe im Garten- und Landschaftsbau beliebt. Seit 1990 entstanden zudem zahlreiche Geschiebegärten, in denen sehenswerte Geschiebe öffentlich ausgestellt sind.

Fachbegriff der Limnologie und des Wasserbaues

Im Wasserbau und in der Limnologie werden durch Strömung transportierte Feststoffe, die sich gleitend, rollend oder springend auf der Gewässersohle bewegen, als Geschiebe bezeichnet. Der Begriff bezieht sich vor allem – nicht ausschließlich – auf solche fluvialen Sedimente, die sich aktuell im Transportprozess befinden, oder die nur vorübergehend zur Ruhe gekommen sind. Der in der Bedeutung ähnliche geowissenschaftliche Begriff Schotter bezieht sich dagegen mehr – ebenfalls nicht ausschließlich – auf dauerhaft abgelagertes fluviales Sediment.

Die Sedimentfracht eines Flusses besteht neben dem Geschiebe, auch Schleppfracht genannt, aus der schwebend transportierten Suspensionsfracht und der Lösungsfracht. Die Korngröße, die die Grenze der sohlennahen Schwebfracht zum Geschiebe darstellt, ist von der Strömungsgeschwindigkeit an der Gewässersohle abhängig, die wiederum bestimmte Kräfteverhältnisse von Schwerkraft und Massenträgheit mit sich bringt. Es hat sich gezeigt, dass die Froudesche Zahl, die diese Verhältnisse beschreibt, annähernd die Grenze beschreibt, ab der ein Korn sich wie Geschiebe verhält (<19) oder vom Wasser schwebend mitgeführt wird (>19). Durch die gegenseitige Reibung der Gerölle sind Fluss-Geschiebe gut bis sehr gut gerundet und werden flussabwärts immer kleiner.

Literatur

  • Julius Hesemann: Kristalline Geschiebe der nordischen Vereisungen. Geologisches Landesamt Nordrhein-Westfalen, Krefeld 1975.
  • Per Smed: Steine aus dem Norden. Geschiebe als Zeugen der Eiszeit in Norddeutschland. Deutsch übersetzt und bearbeitet durch Jürgen Ehlers. 2. verbesserte Auflage. Borntraeger, Stuttgart u. a. 2002, ISBN 3-4430104-6-6.
  • D. Vischer, A. Huber: Wasserbau. Hydrologische Grundlagen, Elemente des Wasserbaues, Nutz- und Schmutzwasserbauten. Springer, Berlin u. a. 1978, ISBN 3-540-08490-8.

Anmerkungen

  1. Das Xenusion hat Verwandte in anderen kambrischen Fossillagerstätten, ist jedoch in Skandinavien selbst bisher nicht nachgewiesen.
  2. Vorkommen vorwiegend zwischen Pinnow bei Schwerin und Kobrow bei Sternberg

Siehe auch

Weblinks

Die cosmos-indirekt.de:News der letzten Tage

25.09.2023
Thermodynamik | Optik | Akustik
Licht- und Schallwellen enthüllen negativen Druck
Negativer Druck ist ein seltenes und schwer nachzuweisendes Phänomen in der Physik.
20.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
JWST knipst Überschall-Gasjet eines jungen Sterns
Die sogenannten Herbig-Haro-Objekte (HH) sind leuchtende Gasströme, die das Wachstum von Sternbabies signalisieren.
18.09.2023
Optik | Quantenphysik
Ein linearer Weg zu effizienten Quantentechnologien
Forschende haben gezeigt, dass eine Schlüsselkomponente für viele Verfahren der Quanteninformatik und der Quantenkommunikation mit einer Effizienz ausgeführt werden kann, die jenseits der üblicherweise angenommenen oberen theoretischen Grenze liegt.
17.01.1900
Thermodynamik
Effizientes Training für künstliche Intelligenz
Neuartige physik-basierte selbstlernende Maschinen könnten heutige künstliche neuronale Netze ersetzen und damit Energie sparen.
16.01.1900
Quantencomputer
Daten quantensicher verschlüsseln
Aufgrund ihrer speziellen Funktionsweise wird es für Quantencomputer möglich sein, die derzeit verwendeten Verschlüsselungsmethoden zu knacken, doch ein Wettbewerb der US-Bundesbehörde NIST soll das ändern.
15.01.1900
Teilchenphysik
Schwer fassbaren Neutrinos auf der Spur
Wichtiger Meilenstein im Experiment „Project 8“ zur Messung der Neutrinomasse erreicht.
17.09.2023
Schwarze Löcher
Neues zu supermassereichen binären Schwarzen Löchern in aktiven galaktischen Kernen
Ein internationales Team unter der Leitung von Silke Britzen vom MPI für Radioastronomie in Bonn hat Blazare untersucht, dabei handelt es sich um akkretierende supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien.
14.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
ESO-Teleskope helfen bei der Lösung eines Pulsar-Rätsels
Durch eine bemerkenswerte Beobachtungsreihe, an der zwölf Teleskope sowohl am Erdboden als auch im Weltraum beteiligt waren, darunter drei Standorte der Europäischen Südsternwarte (ESO), haben Astronom*innen das seltsame Verhalten eines Pulsars entschlüsselt, eines sich extrem schnell drehenden toten Sterns.
30.08.2023
Quantenphysik
Verschränkung macht Quantensensoren empfindlicher
Quantenphysik hat die Entwicklung von Sensoren ermöglicht, die die Präzision herkömmlicher Instrumente weit übertreffen.
30.08.2023
Atomphysik | Teilchenphysik
Ein einzelnes Ion als Thermometer
Messungen mit neuem Verfahren zur Bestimmung der Frequenzverschiebung durch thermische Strahlung an der PTB unterstützen eine mögliche Neudefinition der Sekunde durch optische Uhren.