Schellings System der Chemie

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Schellings System der Chemie kann als erste einheitliche Theorie des Verhaltens der Materie in der Neuzeit angesehen werden. Das von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) um ca. 1800 begründete System der Chemie verwirklicht mit elementaren formalen Mitteln die Vereinheitlichung von Materie und Elektromagnetismus. Schelling gibt zwei Arten der Darstellung seines Systems der Chemie:

  • Induktiv: d. h. ausgehend von dem empirischen Fakten (1797: „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ und 1798 : „Von der Weltseele“)
  • Deduktiv: d. h. als formales System (1801: „Darstellung meines Systems der Philosophie“).

Berücksichtigt man die seit Schelling im 19. und 20. Jahrhundert erfolgte Präzisierung der physikalisch-naturwissenschaftlichen Grundbegriffe, so ist die Übereinstimmung von Schellings System der Chemie mit den Erkenntnissen der Quantenchemie bemerkenswert und zeigt, dass das ganzheitliche Verständnis des Verhaltens der Materie auf verschiedene Weise formal realisiert werden kann.

Beginnend mit Alexander von Humboldt (1769–1859) fanden bedeutende Naturforscher in Schellings System eine Bestätigung ihres Denkens. Im 20. Jahrhundert wurden die Erkenntnisse Schellings zur Orientierungshilfe bei der Entdeckung des Einheitlichen Feldes der chemischen Bindung an der 1972 gegründeten Arbeitsstelle für Theoretische Chemie von Hermann Hartmann (1914–1984).

Schellings System der Chemie liefert zusammen mit der Vereinheitlichung aller Gesetze der Chemie auch die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der biologischen Organisation, denn es dringt zu einem selbstwechselwirkenden Bereich vor, der als Feld des Bewusstseins bzw. der Intelligenz Objekt und Subjekt miteinander verbindet und der in der Philosophie als transzendentale Realität bezeichnet wird.

Schellings induktive Darstellung seines Systems der Chemie

Das gesamte beobachtete Verhaltens der Materie teilt Schelling in seinen „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797) empirisch in drei Kategorien ein:

  • die quantitativ fassbaren Bewegungen in Raum und Zeit, die in enger Beziehung zur Gravitation stehen (Allgemeine Dynamik).
  • Die qualitativen Veränderungen der materiellen Objekte durch innere Strukturveränderungen (chemische Reaktionen).
  • Zustandsänderungen durch Wechselwirkungen von Teilchen bzw. Kräfte während eines Zusammenstoßes (chemische Dynamik, Reaktionsmechanismus).

Schelling über die Rolle der Gravitation in der Chemie

Schelling kommt in seinen Überlegungen zu dem Schluss, dass die Schwerkraft oder Gravitation eine unmittelbare Konsequenz der allgemeinen Prinzipien der Dynamik ist also ein allgegenwärtiges und universelles Band darstellt, das alles mit allem verbindet:

„Das Band, das alle Dinge bindet und in ihrer Allheit (Vielheit) Eins macht, ist in der Natur die Schwere (Gravitation). In dem das Band als Schwere den Raum als Form des Für-sich-Bestehens negiert, setzt es die Zeit, die nichts anderes ist als die Negation des Für-sich-Bestehens.“

Während Raum und Zeit als zwei aufeinander bezogene Negationen nur relative Existenz haben, ist die Schwere als Einheit in der Vielfalt in der Natur ewig. „Für sich genommen ist das Band der Schwere eine unendliche, freie Substanz.“

Für Schelling ist die Theorie der Gravitation eine notwendige logische Folge aus den Gesetzen der allgemeinen Dynamik. Demgegenüber ist Chemie die konkrete Realisierung der gesamten Dynamik, das heißt angewandte Dynamik:

„Die Chemie also, da sie mit der Dynamik parallel ist, muss unabhängig sein von allen Gesetzen, die den dynamischen untergeordnet sind. Unabhängig also sind chemische Operationen von Gesetzen der Schwere; denn diese beruhen auf der bloßen Anziehungskraft der Materie und setzen voraus, dass die dynamischen Kräfte in der Materie bereits zur Ruhe gekommen sind. Die Chemie aber stellt diese Kräfte in Bewegung dar; denn alle ihre Erscheinungen sind nichts als Phänomene einer Wechselwirkung der Grundkräfte der Materie.“

Schelling über chemische Reaktionen

Die chemischen Prozesse sind der konkrete Ausdruck der allgemeinen Dynamik das heißt „das Zurückstreben aus dem äußeren und besonderen Leben in das innere und allgemeine, in die innere Gleichheit aller Materie.“

„Schon das Bestreben der gemeinen Chemie, die Stoffe so viel wie möglich auf Grundstoffe zurückzuführen, verrät, dass sie (in der Idee wenigstens) ein Prinzip der Einheit vor Augen hat, dem sie sich standhaft und so weit als möglich anzunähern sucht. Gibt es aber ein solches Prinzip, so ist kein Grund vorhanden, in dem Bestreben nach Einheit unserer Erkenntnisse irgendwo stille zu stehen, vielmehr müssen wir wenigstens als möglich voraussetzen, dass fortgesetzte Untersuchung und ein tieferer Griff in das Innere der Natur Stoffe, die jetzt noch völlig heterogen erscheinen, als Modifikationen eines gemeinschaftlichen Prinzips finden werden. Wenn man aber, wie es dann notwendig ist, fragt, was denn zuletzt dasjenige sei, wovon alle Qualitäten Modifikationen seien, so bleibt uns dafür nichts übrig als die Materie überhaupt. Das Regulativ einer wissenschaftlich-fortschreitenden Chemie wird also immer die Idee bleiben, alle Qualitäten nur als verschiedene Modifikationen und Verhältnisse der Grundkräfte zu betrachten. Denn diese sind das einzige, was die empirische Naturlehre postulieren darf, sie sind die Data jeder möglichen Erklärung. Bei aller möglichen Verschiedenheit der Form sind sie der einzige wahre Kern und Mittelpunkt aller Erscheinungen der Materie, von dem sie als ihrer gemeinschaftlichen Wurzel ausgehen und in den sie zurückstreben.“

Die Existenz von Prozessen in der Natur, die unabhängig von der Masse (Trägheit) zu qualitativen Veränderungen im Verhalten der Materie führen, bedeutet für Schelling zweierlei:

  • Es muss einen Grundstoff geben, der bewirkt, dass sich Stoffe wechselseitig anziehen können: Schelling nennt diese Wechselwirkungskraft „Magnetismus“; seit James Clerk Maxwell (1831–1879) wird sie „Elektromagnetismus“ oder „elektromagnetisches Feld“ genannt.
  • Es muss eine Substanz geben, die für die Anregung und Ausdehnung der Körper verantwortlich ist und die der Trägheit entgegenwirkt. Das ist für Schelling das Licht und die damit verbundene Wärmewirkung. In der Terminologie, die sich seit J.C. Maxwell eingebürgert hat, ist es das (elektromagnetische) Strahlungsfeld, das die elektrisch geladenen Teilchen der molekularen Materie einerseits und die elektrostatische Wechselwirkung andererseits miteinander koppelt.

Schelling über den Mechanismus der Wechselwirkung

Der Mechanismus wie die Grundkräfte der Materie miteinander wechselwirken ist nach Schelling allein für Verständnis des Verhaltens der Materie entscheidend: „Es bedarf nur der einfachen Reflexion, daß das was Ursache oder Grund des chemischen Prozesses ist, nicht selbst wieder Gegenstand chemischer Untersuchung sein kann. Erst wenn man in den chemischen Erscheinungen nicht mehr Gesetze sieht, die ihnen als solchen eigentümlich, sondern die allgemeine physikalischen Gesetzmäßigkeit des Universums sucht, werden sie unter die höheren Verhältnisse der Mathematik treten.“

Chemische Dynamik

Das Prinzip der chemischen Dynamik besteht nach Schelling darin, alle Qualität der Materie auf graduelle Verhältnisse ihrer Grundkräfte zurückzuführen. Das heißt die Objekte bekommen dadurch, dass sie durch die Wechselwirkung der Kräfte auf charakteristische Weise vom allgemeinen dynamischen Prinzip abweichen, eine bestimmte Qualität und hören auf bloße Quantität zu sein. Das ist die Idee der mathematischen Störungstheorie.

Die Qualitäten der Materie sind dann „Potenzen der Kohäsion“, denn durch keinen chemischen Prozess kann etwas entstehen, was in den beteiligten Körpern nicht schon potentiell enthalten ist. Kein Entstehen im chemischen Prozess ist ein Entstehen-an-sich sondern immer nur eine Metamorphose.

Die Prinzipien der chemischen Dynamik als Wechselbeziehung der Grundkräfte erläutert Schelling am Beispiel eines typisch chemischen Prozesses, der Verbrennung.

Verbrennung als Beispiel

Ein Körper der oxidiert verbindet sich mit Sauerstoff, das heißt mit einer Materie, deren Potenz der negative Faktor der Kohäsion ist. Die individualisierende Wirkung des Sauerstoffs setzt aber voraus, dass in dem Körper der positive Faktor der Kohärenz eingeschränkt oder aufgehoben werden kann. Ein Verbrennungsprozess ist also ein Ausgleich von Gegensätzen der Elektrizität und der Prototyp der Verbrennung ist der Übergang von Sauerstoff und Wasserstoff zu Wasser, das heißt der Übergang in einen Zustand der Indifferenz. Dieser Übergang ist notwendig mit Licht als drittem Faktor neben Materie und Elektrizität verbunden. Deshalb ist Feuer eine Erscheinungsform der Verbrennung: „Die Alten haben unter dem Namen Vesta (Hestia) die allgemeine Substanz und diese selbst unter dem Sinnbild des Feuers verehrt. Sie haben uns dadurch einen Wink hinterlassen, dass das Feuer nichts anderes als die reine in der Körperlichkeit durchbrechende Substanz oder dritte Dimension sei.“

Chemie und Leben

Bei der Untersuchung der Frage, wie die Existenz von Organismen als Naturerscheinung verstanden werden kann, kommt Schelling zu dem Schluss, dass bereits die chemischen Prozesse Ausdruck von Leben sind: „Anstatt Vegetation und Leben chemische Prozesse zu nennen, ist es weit natürlicher umgekehrt chemische Prozesse als unvollkommenere Organisationsprozesse anzusehen. Die Ursache des Lebens ist also der Idee nach früher da als die Materie, die nicht lebt, sondern belebt ist.“

Der ursprüngliche Impuls, der zum Entstehen des Organismus führt, ist nach Schelling das Zusammenspiel von «Freiheit und Notwendigkeit», das auch allen Naturvorgängen zugrunde liegt. Die ursprüngliche Einheit von Freiheit und Notwendigkeit ist eine eigene, die materielle Natur überschreitende (transzendentale) ganzheitliche Realität, die durch ihre Selbstwechselwirkung die Vielfalt der biologischen Organisationsformen durch einen ständigen Individualisierungsprozess hervorbringt.

Leben basiert also nach Schelling auf dem Zusammenwirken entgegengesetzter Prinzipien, die eine ständige Störung und Wiederherstellung des Gleichgewichtes bewirken, wie es sich bereits im Zusammenspiel von Oxydation und Reduktion ausdrückt. Die Redoxreaktion ist für Schelling der Prototyp aller chemischen Prozesse, auch der im Bereich der Biologie.

Schellings deduktive Darstellung seines Systems der Chemie

In Übereinstimmung mit der modernen Terminologie (beispielsweise der Wissenschaft der kreativen Intelligenz) ist der Ausgangspunkt Schellings bei der Formalisierung seines Systems die empirisch gegebene Existenz der Intelligenz:

„Schon der erste Blick in die Natur lehrt uns, was uns der letzte lehrt, denn auch die Materie drückt kein anderes Band aus als jenes, das in der Vernunft ist, die ewige Ganzheit des Unendlichen mit dem Endlichen.“ („Von der Weltseele“)

Existenz von Ordnung (Intelligenz)

Als Intelligenz (Vernunft, Ordnung) bezeichnet Schelling den ausgewogenen Zustand von Subjekt und Objekt. Durch Intelligenz wird die Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt im Erkenntnisprozess in einen Zustand der wechselseitigen Bestimmtheit gebracht, was gesichertem und vollständigem Wissen entspricht.

Insgesamt charakterisiert Schelling die Intelligenz axiomatisch durch drei Entfaltungsschritte:

  • Im ursprünglichen Zustand der Wirklichkeit sind Intelligenz und Existenz eine undifferenzierte Einheit.
  • Indem sich Intelligenz der eigenen Existenz bewusst ist, wird sie schöpferische Intelligenz, wobei aus der ursprünglichen Quantität die spezifischen Qualitäten hervorgehen und damit die ganze Vielfalt der Schöpfung.
  • Durch den kontinuierlichen Selbst-Entfaltungsprozess erhält die Intelligenz den Status einer alles umfassenden Ganzheit (Organismus, „Weltseele“).

Schellings Formalismus

Für Schelling ist die fundamentale Operation der Intelligenz ihre selbstbezogene Eigendynamik(Selbstwechselwirkung), die er formal als Identität beschreibt und durch eine gerade Linie veranschaulicht:

selbstbezogene Intelligenz = absolute Identität von Erkennen und Sein

A² =def A=A


Axiom 1: Das höchste Gesetz für das Sein der Vernunft ist das Gesetz der absoluten Identität, welches in Bezug auf alles Sein durch A = A ausgedrückt wird. Da außer der Vernunft nichts existiert, gilt dieses Gesetz für alles Sein.

Axiom 2: Die absolute Identität kann sich nur dadurch selbst erkennen, dass sie sich bis ins unendliche als Subjekt A bzw. Objekt K setzt, wobei die Zunahme an Subjektivität und Objektivität in entgegensetze Richtungen erfolgt.

Dabei ist das Subjekt A das ursprünglich gegebene, das für sich unbegrenzt aber begrenzbar ist, und das Objekt K ist das Begrenzende also das erkennende Prinzip. Beide existieren in Bezug aufeinander und nehmen in entgegengesetzter Richtung quantitativ zu. Daraus ergibt sich ein Linie, wobei das ursprünglich unbegrenzte A als positiv und das begrenzende K als negativ gesetzt werden:

-K=A (Rückbezug)                                                                                                             (Begrenzung des Unbegrenzten) K=A+


Kreative Intelligenz: A = K ( Feld aller Möglichkeiten )


Das heißt: Der relative Unterschied zwischen Subjekt und Objekt entsteht dadurch, dass die Identität nach der einen Richtung als unendliches Erkennen (Intelligenz) und in der anderen als unendliches Sein (Existenz) gesetzt wird.

Was subjektbezogen die Intelligenz, das ist objektbezogen die Natur, das heißt: Die Natur ist die objektive Seite der Subjekt-Objekt-Beziehung.

Die relative Identität A=K markiert dabei den Indifferenzpunkt I im Kontinuum der quantitativen Unterschiede von Subjekt und Objekt. Dieser Indifferenzpunkt I ist der Bereich der Einheit von Ursache (+A=K) und Wirkung(Aktion) (-K=A) und als Totalität der kreativen Intelligenz ein Feld aller Möglichkeiten.

Die auf den Indifferenzpunkt bezogenen entgegengesetzten Richtungen KI und AI sind für sich betrachtet eigenständige Ganzheiten, die geometrisch gesehen senkrecht aufeinander stehen wie Länge und Breite:

K       A
 $ \searrow \swarrow $
     I

Axiom 3a Die Materie ist die erste relative Totalität. Materie existiert, weil die relative Verbindung KA im „reellen“ Bereich liegt, d. h. im Bereich überwiegender Objektivität K=A+.

Obwohl Materie überwiegend objektiv ist, schließt sie das subjektive oder erkennende Prinzip mit ein und macht so das erkennende Prinzip „reell“ das heißt Materie verhält sich als Ganzheit.

Im materiellen Universum wirkt der Selbstbezug der Existenz (absolute Identität) als anziehende Kraft (Gravitation) und die selbst-rückbezügliche Intelligenz (relative Identität) als Expansionskraft. Die Anziehungskraft (Gravitation) bestimmt die Ordnung im Universum, während die abstoßende Kraft für die ständige Expansion verantwortlich ist.

Die äußere raum-zeitliche Betrachtung der Selbst-Rückbezüglichkeit (absolute Identität) der Natur entspricht der Gravitation. Die innere qualitative Selbst-Rückbezüglichkeit der Natur (relative Identität) erscheint als Licht.

Insgesamt bedeutet das: „Die Natur ist in ihren ursprünglichen Produkten organisch.“

Schellings Deduktion der Chemie

Nach Schelling sind alle Formen und Phänomene Ausdruck kreativer Intelligenz, die als Materie „reell“ wird.

Innerer Zusammenhang der Materie (Kohäsion)

Die Materie ist bei Schelling ein Kontinuum von Punkten, das sich als ein Ganzes verhält. Das ganzheitliche Verhalten der Materie beruht auf einer inneren Kohäsionskraft der Materie, die ständig den Zusammenhang zwischen zwei Punkten der Materie herstellt und aufrechterhält.

„Die Kohäsion ist die Impression der Selbst- oder Ichheit in der Materie, wodurch sie zuerst als Besonderes aus der allgemeinen Identität heraustritt und sich in das Reich der Form erhebt.“ („Fernere Darstellung des Systems der Philosophie“, 1802)

Aufgrund ihrer empirischen Konsequenzen identifiziert Schelling die innere Kohäsionskraft mit der elektromagnetischen Kraft. Das heißt, das elektromagnetische Feld repräsentiert den immer gegenwärtigen inneren Zusammenhang der Materie, die sich deshalb ebenfalls wie ein Feld verhält. Relativ gesehen bedeutet größerer innerer Zusammenhang größere individuelle Spezifität der Materie. Weil das elektromagnetische Feld die Struktur der Materie bestimmt, bedeutet Gleichheit der Materie auch immer strukturelle Identität.

Elektrizität

Jeder individuelle materielle Körper strebt zur Totalität der Materie. Durch das Bestreben zur Totalität erhöht jeder einzelne Körper seinen inneren Zusammenhang. Das Bestreben zur Totalität drückt sich als wechselseitiger Austauschprozess mit anderen Körpern aus, der zu einer relativen Änderung des inneren Zusammenhangs führt. Die relative Veränderung des Zusammenhangs wird durch die Elektrizität bestimmt.

Elektrizität zeigt sich nur in Verbindung von Annäherung (Berührung) und Trennung. Von zwei unterschiedlichen Körpern, die sich berühren und dadurch in eine Wechselbeziehung treten, wird der jenige negativ-elektrisch, der eine relative Erhöhung des Zusammenhangs erfährt(,) und derjenige positiv, der eine gleiche Verminderung des Zusammenhanges erleidet.

Zwei indifferente Körper, die sich berühren, streben danach, ihren Zusammenhang wechselseitig zu erniedrigen. Verminderung des Zusammenhangs bedeutet absolut gesehen Erwärmung und relativ gesehen Abnahme der elektrischen Negativität.

Rolle des Lichtes

Licht als aktive Ausdrucksform der kreativen Intelligenz in der Natur macht Intelligenz und Existenz zu Faktoren, die den inneren Zusammenhang der Materie bestimmen. Das Prinzip der Existenz (Reduktion, Prinzip des Wasserstoffes) erhöht den innern Zusammenhang (Stabilität), während das Prinzip der Intelligenz (Oxydation, Prinzip des Sauerstoffes) den inneren Zusammenhang vermindert (Flexibilität). Der Wirkungsbereich des Lichtes ist auf den inneren Zusammenhang der Materie beschränkt. Identität mit dem Licht zeigt sich in der Materie als Durchsichtigkeit.

Wärme

Es gibt keine absolute Wärme. Wärme ist nur das Phänomen eines Zustandes, in welchem sich ein Körper befindet. Das heißt, Wärme ist keine überall sich selbst gleiche, sondern eine von zufälligen Bedingungen abhängige Qualität. Hauptursache der Wärme ist das Licht. Das Licht ist etwas, was nicht bloß in der Empfindung gegeben ist, sondern was auch objektiv durch Gesetze bestimmt wird und dessen Bewegungen als Intensität gemessen werden kann. Licht wärmt in dem Grade, in welchem es aufhört Licht zu sein.

Schellings chemische Dynamik

Jeder chemische Prozess ist das dynamische Zusammenspiel von Materie und Licht. Licht wirkt als Einheit von Ursache und Wirkung am Berührungspunkt (Übergangszustand) der individuellen Körper (Teilchen) im Verlauf des chemischen Prozesses.

Weder durch das Materiefeld (einschließlich dem elektromagnetischen Feld) noch durch die Elektrizität allein wird die Totalität des chemischen Prozesses dargestellt. Die Totalität wird erst durch das Hinzukommen eines Dritten hervorgebracht, nämlich der in sich indifferenten Einheit von Ursache und Wirkung (kreative Intelligenz). In der Natur tritt dieses neutrale aber aktive Feld als Licht („Feuer“) in Erscheinung. Eine materielle Realisation dieses Feldes ist z. B. das Wasser als der indifferente Zustand von Sauerstoff (Oxydationsmittel) und Wasserstoff (Reduktionsmittel).

Schellings Grundformen des chemischen Prozesses im Überblick
Realitätsbereich Formel Geometrie
Kontinuum der Existenz A Linie (reine Quantität)
absolute Identität
Gravitation
A=A Punkt
Begrenzendes Prinzip K Quantifizierung durch Punkte
relative Identität
Licht
I = (K = A ) Übergangspunkt
(Bezugspunkt, Verbindungspunkt)
Materie
mit elektromagnetischem Feld
K I A Linie mit Qualität
Elektrizität (Ladungstrennung) I $ \sphericalangle $ K,A Winkel
chemische Dynamik $ \triangle $ K,I,A Dreieck

Die dynamische Realität des chemischen Prozesses ist die Verwirklichung der Totalität der elektromagnetischen Wechselwirkung (Materiefeld) durch die Dreiheit von Materieteilchen, Elektrizität und Strahlungsfeld (Licht).

Biologische Organisation und Chemie

Belebt nennt Schelling die Materie, die den Status der Selbstwechselwirkung (absolute Identität) erlangt hat.

Axiom 3b: Der Organismus bedarf wegen der Existenz des Selbst-Bezugs (absolute Identität) keines Dings oder Zwecks außer sich.

Die anorganische Natur ist das Samenkorn, aus welchem die Organismen hervorgehen. Aus diesem Grund ist auch die anorganische Natur organisiert und zwar für die Organisation, die aus ihr hervorgeht. Die organische Natur unterscheidet sich von der sogenannten anorganischen bloß dadurch, dass die anorganische Materie nach außen vielfältig, aber im Inneren Eines ist, während der Organismus im Äußeren Eines aber im Inneren vielfältig ist. Der Organismus zwingt die Materie, das Innere nach außen zu kehren.

Der Zentralkörper jedes organischen Systems repräsentiert die absolute Identität aller übrigen Körper dieses Systems. Das Zentralorgan ist also das anschauende Prinzip für dieses System. Die Organisation jedes Weltkörpers ist das herausgekehrte Innere dieses Weltkörpers. So ist z. B. der Planet Erde nichts anderes als der Inbegriff aller Tiere und Pflanzen auf der Erdoberfläche. Das anschauende Prinzip individualisiert sich im Körper und das anschauende Prinzip des Körpers individualisiert sich im Organismus.

Beurteilung von Schellings System der Chemie

Zur Beurteilung seines Systems der Chemie weist Schelling daraufhin, dass es den Verbindungspunkt von Naturphilosophie und Transzendentalphilosophie bildet und sich damit jenseits von Realismus und Idealismus befindet, die nur zwei mögliche Sichtweisen einer alle Standpunkte einschließenden ganzheitlichen Betrachtungsweise sind. Aus diesem Grund hält es Schelling auch für wichtig, dass sein System vorrangig logisch und empirisch zu beurteilen ist, d. h. bezüglich seiner Selbst-Konsistenz und seines Realitätsbezugs, weniger aber durch Vergleich mit anderen Systemen. Er beklagt in diesem Zusammenhang die vorherrschende Gewohnheit, „alle früheren Philosophen, Spiritualisten, Materialisten, Theisten, und wie sie alle heißen mögen, immer aufs neue durch die Musterung gehen zu lassen [...] statt die Ausführungen des Systems selbst“ zur Beurteilung heranzuziehen.

Schellings System der Chemie und die Quantenchemie

Schellings Ansatz der Chemie stimmt im Wesentlichen mit dem der Quantenmechanik überein, die Anfang des 20. Jahrhundert als ganzheitliche Theorie der Materie entstand.

Prinzip der lokalen Symmetrie

Die Vereinheitlichung von Materie und Elektromagnetismus ist im 20. Jahrhundert durch das quantenmechanische Prinzip der lokalen Symmetrie realisiert worden, das die Grundlage der molekularen Quantenmechanik bildet. Eine andere Bezeichnung für lokale Symmetrie ist „lokale Eichinvarianz“ was dem Konzept der „Indifferenz“ bei Schelling entspricht. Verallgemeinert als Prinzip der lokalen Supersymmetrie führt die lokale Eichinvarianz im Rahmen der Supergravitationstheorie auf das Einheitliche Feld aller Naturgesetze, das wegen seiner Selbstwechselwirkung mit dem Bereich selbst-bezogener Intelligenz identifiziert werden kann, von dem Schelling ausgeht.

Quantenmechanischer Beobachtungsvorgang

Im quantenmechanischen Beobachtungsprozess bestimmt der Beobachter die Qualität der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Wie im Schelling’schen System ist auch in der Quantenmechanik der erste Schritt der Beobachtung die bewusste Entscheidung bezüglich der Sichtweise bzw. Symmetrie des Beobachters, was dann im zweiten Schritt zur Bestimmung der Objekteigenschaften führt. Die Quantenchemie und auch Schellings System der Chemie eliminieren deshalb nicht die empirische Naturforschung, sondern ergänzen sie durch die ganzheitliche Logik der Intelligenz.

Ganzheitliche Sichtweise

Schelling drückt die quantenmechanische Idee von „Materie als Feld“ beziehungsweise von der „Materiewelle“ so aus:

„Ohne die Idee einer ursprünglichen Homogenität aller Materie können wir nicht erklären, wie Materie auf Materie wirkt. Damit es eine dynamische Gemeinschaft aller Substanzen in der Welt gibt, muss es eine Urmaterie geben, die alle Körper durchdringt. Diese Materie ist so durchdringend, dass das Innere keines Körpers ihr verschlossen ist. Diese Materie wird nur durch sich selbst im Gleichgewicht gehalten. Wenn also verschiedene Körper untereinander ein Gleichgewicht der Wärme unterhalten, so kann dies nicht erklärt werden, ohne in diesen Körpern selbst ein positives Prinzip anzunehmen, das mit der allgemein verbreiteten Wärmematerie in stetigem und dynamischem Zusammenhang steht.“

Genau das ist auch der Ansatz der Quantenphysik, die ein allgegenwärtiges Materiefeld postuliert, dessen Dynamik durch eine Wellengleichung beschrieben wird. Das Konzept des Materiefeldes ergänzt das klassische Teilchenkonzept durch das Wellenverhalten der Materie. Teilchen und Welle erscheinen dabei als zwei komplementäre Ausdrucksformen des Verhaltens der Materie je nach Fragestellung des Beobachters.


Wärmekapazität und Wellenverhalten der Materie

In Schellings Verständnis der Wärmekapazität wird seine Nähe zum quantenphysikalischen Denken besonders deutlich:

Ein Körper, in dem ganzheitliches Verhalten stärker lebendig ist, stößt die äußere Wärme stärker zurück als ein anderer, in dem das Wellenverhalten weniger ausgeprägt ist. Der letztere Körper, sagt man, hat größere Kapazität für die Wärme als ersterer.

Beispielsweise hat Holzkohle eine geringe Wärmekapazität. Ihr Hauptbestandteil Kohlenstoff besitzt eine Wärmekapazität von 710 J/(kg·K). Holzkohle kann Gegenstände aus Material mit hoher Wärmekapazität wie etwa Wasser (4286 J/(kg·K)) oder biologische Substanzen, die viel Wasser enthalten, nur langsam erhitzen (Prinzip des Grillens).

Die Quantenchemie beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen: Niedrige Wärmekapazität ist ein Maß für quantenmechanisches Wellenverhalten. Dabei wirken große Energielücken zwischen den Zuständen der Materiewelle wie ein Schutzschild gegenüber äußeren Einflüssen.

Schelling war sich der zukunftsweisenden Bedeutung seiner Deutung der Wärmekapazität durchaus bewusst, wenn er sagt: „Der Begriff der Wärmekapazität ist eine Klippe, woran die (naive) atomistische Physik scheitern muss.“


Selbst-Wechselwirkung als transzendentale Realität

Schellings Idee, die Chemie auf der Selbst-Wechselwirkung als elementarste Form des Verhaltens zu begründen, liegt auch dem Ansatz von Hermann Hartmann zugrunde, Atome und Moleküle als selbst-wechselwirkende Felder zu beschreiben (1980).

Da Selbst-Wechselwirkung ein Kennzeichen von Bewusstsein ist, treffen sich Quantenchemie und Schellings Chemie auf einer Ebene, wo Wissen bzw. Erkenntnis unmittelbar im Bewusstsein strukturiert ist. Das ist der Ursprungsbereich des Denkens, wo das Entstehen der Ideen (Konzepte) eine unmittelbare Erfahrung ist. Dieser Bereich wird seit Immanuel Kant (1724–1804) als transzendentales Bewusstsein bezeichnet, weil er die Bedingung für die Möglichkeit jeder Art von Erkenntnis und Wahrnehmungen ist. Eine andere Bezeichnung für transzendentales Bewusstsein ist reines Bewusstsein, d. h. Bewusstsein, das sich selbst erkennt (Selbstwechselwirkung)

Die neurophysiologische Forschung der Transzendentalen Meditation, verstanden als wissenschaftliche Methode zur Erfahrung reinen Bewusstseins, kennzeichnet den Zustand transzendentalen Bewusstseins neurophysiologisch als vierten Hauptbewusstseinszustand neben Wachen, Schlafen und Träumen. Indem transzendentales Bewusstsein zur unmittelbaren Erfahrung wird, können die auf Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007) zurückgehende transzendentale Deutung der Quantenmechanik und Schellings transzendentalphilosophisches System der Chemie neurophysiologisch begründet und unmittelbar als Bewusstseinsstrukturen bestätigt werden.

Literatur

  • Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Ausgewählte Werke (3 Bände), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1975
  • Hans-Peter Dürr (Hrsg.): Physik und Transzendenz, Scherz Verlag, Basel, 1986

Weblinks

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