Nengō

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Der japanische Begriff nengō 年号 (chinesisch 年號 / 年号 niánhào ‚Jahrestitel‘; auch jap. gengō 元号, wtl. „Ursprungs[jahres]titel“) lässt sich am besten mit „Jahresdevise“ oder „Äranamen“ übersetzen. Im weiteren Sinne ist damit das in Japan übliche kalendarische Schema gemeint, das seinen Ursprung in China hat. Mehrere Jahre werden dabei in Gruppen mit dem gleichen Namen, bzw. mit der gleichen „Devise“ zusammengefasst. Dem Beispiel Chinas folgend waren derartige Äranamen ehemals in ganz Ostasien (einschließlich Vietnams) verbreitet, heute dagegen ist Japan neben der Republik China das einzige Land, wo dieses System noch in Gebrauch ist. Obwohl in Japan auch die westliche Zeitrechnung bekannt ist, gilt bei Behörden das nengō-System als verbindlich.

Das gegenwärtige nengō lautet seit 1989 „Heisei“ 平成 („Verwirklichung des Friedens“). Der Nikkei-Index erreichte beispielsweise am 28. Dezember Heisei 1 [=1989] (平成元年12月28日) seinen bisherigen Höhepunkt.

Geschichte des Nengō-Systems

Die japanischen Äranamen basieren auf den chinesischen und wurden im Jahr 645 n. Chr. unter Kōtoku Tennō (孝徳天皇) eingeführt. Der erste Äraname lautete „Taika“ 大化 („großer Wandel“) und war den politischen Reformen (Taika-Reform) geschuldet, die damals die politische Szene radikal veränderten. Zum systematischen Gebrauch der nengō kam es allerdings erst ab dem Jahr 701. Von da an wurden die Äranamen bis zur Meiji-Zeit von kaiserlichen Hofbeamten entschieden und unterlagen einem unregelmäßigen Wechsel. Die Wechsel der Ärabezeichnungen beruhten im Allgemeinen auf folgenden Ursachen:

  • Amtsantritt eines neuen Tennō. Allerdings wurde in vormoderner Zeit die Thronbesteigung eines neuen Tennō nicht automatisch von einem Wechsel des Äranamens gefolgt. Oft verstrichen mehrere Jahre, bis eine neue Devise ausgerufen wurde.
  • Erinnerung an ein besonders glückliches Ereignis.
  • Unglücksfälle, z.B. Naturkatastrophen, die man durch einen Wechsel der Devise zu beenden hoffte.
  • Besonders verheißungsvolle Jahre des traditionellen Sechziger Zyklus (der neben den nengō das übliche Kalendersystem darstellte), nämlich das 1., das 5. und das 58. Jahr des Zyklus (jap. sankaku 三革).

Die Äranamen nehmen oft direkt oder indirekt auf den jeweiligen Anlass, bzw. den historischen Hintergrund Bezug. So wurde etwa die Ära Wadō 和銅 („Japan-Kupfer“) im Jahr 708 ausgerufen, nachdem man Kupfervorkommen in Japan entdeckt hatte. Seit der Heian-Zeit spiegelte sich konfuzianisches Gedankengut in den Äranamen, so bei Daidō 大同 („Große Gleichheit“, 806-810) oder Kōnin 弘仁 („Weite Gerechtigkeit“, 810-824). Für gewöhnlich bestehen die nengō aus zwei Kanji-Zeichen. Lediglich in der Nara-Zeit orientierte man sich an den damaligen chinesischen Äranamen und verwendete zeitweilig vier Zeichen (s. Liste der Nengō). In Japan gibt es von Taika bis Heisei genau 247 nengō. Trotzdem benötigt man für ihre Darstellung nur 72 Kanji, von denen 30 nur einmal in Gebrauch waren, während die übrigen immer wieder neu kombiniert wurden.

Die Länge einer Ära kann sehr unterschiedlich sein und reicht von einem Jahr (z.B. Genji 27. März 1864-1. Mai 1865) zur bisher längsten Shōwa-Zeit (25. Dezember 1926 bis zum 7. Januar 1989) von etwa 62 Jahren. Das System ist entsprechend unübersichtlich und wird in der Praxis von periodischen Kalendersystemen ergänzt, nämlich dem bereits erwähnten Sechziger Zyklus (vor 1872), bzw. dem westlichen Kalender (nach 1872). In offiziellen Dokumenten und historischen Schriften ist es jedoch bis heute das vorherrschende System der Jahresangabe.

Umrechnung

Grundsätzlich lässt sich ein Jahr des traditionellen Ärasystems anhand von Tabellen in ein entsprechendes Jahr westlicher Zählung übersetzen. Allerdings ist der Beginn einer Ära meist nicht mit dem Jahresanfang identisch, sodass der Beginn und das Ende desselben Jahres nach westlicher Zählung zwei unterschiedlichen Ärabezeichnungen zugeordnet sein können. Außerdem erfolgte die Zählung der Tage und Monate bis Ende 1872 nach dem Chinesischen Kalender, was dazu führt, dass der 12. Monat eines japanischen Jahres vor 1872 zumeist dem 1. Monats des Folgejahres nach westlicher Zählung entspricht (s. dazu Einführung in die japanische Chronologie von Matthias Schemm). Dies kann bei ungenauer Umrechnung zu fehlerhaften Übersetzungen historischer Daten führen.

Das Geburtsdatum des berühmten Feldherrn und „Reichseinigers“ Tokugawa Ieyasu (1543-1616) lautet beispielsweise nach traditioneller Zählung:

26. Tag des 12. Monats Tenbun 11 (天文11年12月26日)

Nach westlicher Zählung entspricht dies dem 31. Januar 1543. Dennoch wird die Lebenszeit Ieyasus häufig mit „1542-1616“ angegeben, weil „Tenbun 11“ in einfachen Umrechnungstabellen dem Jahr 1542 entspricht.

Nengō im modernen Japan

Seit Tennō Mutsuhito (Meiji) wird ein Äraname nur noch bei der Thronbesteigung ausgerufen. Dieser Brauch wurde 1979 gesetzlich verankert. Nach seinem Tod wird der japanische Tennō bei seinem Äranamen genannt. Heute beginnt das erste Jahr einer Ära (gannen 元年) mit dem Tag der Thronbesteigung des Tennō und endet am 31. Dezember. Erst die darauffolgenden Jahre beginnen mit dem 1. Januar. Das erste Jahr der Regierung von Tennō Shōwa währte z.B. nur wenige Tage am Jahresende 1926.

Nengō als Namen des Tennō

Obwohl die Äranamen heute mit dem „Kaisernamen“ des regierenden Tennō identisch sind, gelten sie als „postume Titel“ und werden in Japan selbst nicht zur Benennung des Tennō verwendet. Ebenso wenig wird ein Tennō aber mit seinem Geburtsnamen bezeichnet. Die Etikette verlangt stattdessen, ihn Tennō Heika 天皇陛下 („seine Majestät der Kaiser“) zu nennen. Der inoffizielle Titel Kinjō Tennō (今上天皇; „derzeitiger Kaiser“) ist ebenfalls in Gebrauch. Oft haben nicht nur Außenstehende, sondern auch die Japaner selbst Probleme bei der Benennung des Kaisers.

Private nengō

Neben den heute offiziellen nengō existierten in vormoderner Zeit auch inoffizielle Bezeichnungen einzelner Perioden, die man unter dem Terminus shinengō (私年号, „private nengō“) zusammenfasst. Sie stammen zumeist aus späteren Quellen und sind daher historisch zweifelhaft, oder sie wurden von Protestbewegungen gegen die offiziellen Äranamen lanciert, ohne sich durchzusetzen. Auch archäologische Ärabezeichnungen werden bisweilen als shinengō bezeichnet, haben aber im Grunde nichts mit dem traditionellen nengō-System zu tun.


Siehe auch

Weblinks

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