Perfluorierte Tenside

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Perfluorierte Tenside (PFT) sind organische oberflächenaktive Verbindungen, bei denen die Wasserstoffatome am Kohlenstoffgerüst vollständig durch Fluoratome ersetzt worden sind. Perfluorierte Tenside haben keine natürliche Quelle. Wegen ihrer besonderen physikalisch-chemischen Eigenschaften werden sie industriell hergestellt und in einer Vielzahl von Produkten verwendet. Sie reichern sich in der Umwelt sowie im menschlichen und tierischen Gewebe an. PFT stehen im Verdacht krebserregend zu sein.

Chemische Eigenschaften

Perfluoroctansulfonsäure
Perfluoroctansäure
Fluortelomeralkohol 8:2 FTOH

Perfluorierte Tenside weisen eine hohe thermische und chemische Stabilität auf. Die Kohlenstoffkette der Verbindung ist hydrophob, während die Kopfgruppe hydrophile Eigenschaften aufweist. Aus diesem amphiphilen Charakter resultiert die Verwendung als Tensid.

Im Gegensatz zu den üblichen Tensiden hat die perfluorierte Kohlenstoffkette zudem einen lipophoben Charakter. Sie weist also neben Wasser auch Öl, Fette und andere unpolare Verbindungen sowie Schmutzpartikel ab.

Die perfluorierten Tenside können in die folgenden Stoffgruppen unterteilt werden:

Einzelne Autoren zählen auch die Fluortelomeralkohole (FTOH) dazu,[1] wobei es sich aber um polyfluorierte Tenside handelt.

Herstellung

Zur Herstellung perfluorierter Tenside werden in der industriellen Synthetisierung meist die Verfahren der elektrochemischen Fluorierung (ECF) nach Simons (1941) oder der Fluortelomerisierung angewandt. Jährlich werden mehrere tausend Tonnen PFT hergestellt, das Land mit der größten Produktionsmenge sind die USA.[1]

Verwendung

Die Verbindungen werden hauptsächlich in der Textilindustrie zur Herstellung atmungsaktiver Jacken und in der Papierindustrie zur Herstellung von schmutz-, fett- und wasserabweisenden Papieren verwendet. Weitere Einsatzgebiete sind die Fotoindustrie, die Herstellung von Feuerlöschmitteln, die Luftfahrt und die Galvanische Industrie. Sie können auch Bestandteil von Schmier- und Imprägniermitteln sein. Bei der Herstellung der Fluorpolymere PTFE (Polytetrafluorethylen, „Teflon“) und PVDF (Polyvinylidenfluorid) wird PFOA als Emulgator eingesetzt. Bei dieser Anwendung tritt PFOA als Prozessemission und als Verunreinigung in Endprodukten auf.[2]

Umwelt- und Gesundheitsaspekte

PFT gelten als in der Natur nicht abbaubar. Sie werden daher als langlebige organische Schadstoffe eingestuft. Mittlerweile sind die Chemikalien dieser Gruppe weltweit verbreitet; sie wurden etwa schon in Leberproben von Eisbären nachgewiesen.[1]

Das Demminer Gesundheits- und Lebensmittelüberwachungsamt warnte im Februar 2008 vor dem Verzehr von regionaler Wildschwein-Leber: in der Leber untersuchter Tiere, die im Landkreis Demmin erlegt wurden, fanden sich erhöhte Werte an perfluorierten Tensiden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung schätzt eine Menge von 0,1 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht als „täglich duldbare Aufnahme“ ein. In den untersuchten Wildschweinorganen wurde ein Mittelwert von 122 Mikrogramm je Kilogramm Leber festgestellt, was „bedeutet, dass beim Verzehr von 65 Gramm derart belasteter Leber die täglich duldbare Menge von 8 Mikrogramm bereits erreicht ist,“ errechnete der Leiter des Demminer Veterinär- und Gesundheitsamtes. Laut Bericht lagert sich PFT in Blut und Leber der Tiere ab und wird nur langsam abgebaut.

Perfluorierte Tenside sind für Menschen und Tiere toxisch und stehen im Verdacht, Krebs zu verursachen. Im Körper reichern sich perfluorierte Tenside im Blut und im Organgewebe an und werden nur langsam ausgeschieden (beim Mensch in 4,4 Jahren etwa um die Hälfte bei PFOA, bei PFOS in etwa 8,7 Jahren). Erste Nachweise im Blut von Chemiearbeitern wurden in den 1960er Jahren erbracht. Erst im Jahre 2001 wurden entsprechend empfindliche Messmethoden veröffentlicht, die auch den Nachweis von PFT-Belastungen in der Allgemeinbevölkerung ermöglichten.[1] Im Jahre 2006 wurde PFT in Niedersachsen auch in erhöhten Konzentrationen in der Muttermilch nachgewiesen.[3]

PFT in deutschen Gewässern

Drainage der mit perfluorierten Tensiden belasteten Fläche bei Scharfenberg
Feld in Rüthen, nach dem Abtragen des Oberbodens

Nordrhein-Westfalen

Im März 2006 wurden im Rahmen einer Studie des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHÖG) an der Universität Bonn zum Vorkommen von PFT in unterschiedlichen Oberflächenwässern in Deutschland erhöhte Konzentrationen in der Ruhr und anschließend auch in der Möhne nachgewiesen.[4] Grund für diese Untersuchung war eine Testreihe bezüglich hoher PFT-Werte in Gewässern in den USA, die deutschen Forscher wollten deutsche Böden ebenfalls nach dem krebserregenden Stoff untersuchen, um die Trinkwasserqualität zu überprüfen. Im Stadtteil Arnsberg-Neheim wurde im Trinkwasser eine Konzentration von 0,56 µg/L gefunden, die Trinkwasserkommission des Umweltbundesamts strebt einen Wert von 0,1 µg/L an.[5] Es stellte sich heraus, dass die Belastung von aus Industrieabfällen hergestelltem Dünger herrührten, der auf im Einzugsgebiet der Flüsse liegenden Feldern ausgebracht wurde.[6] Einige Flächen wurden in der Folge saniert. Je nach Kontaminationsgrad und Geologie des Untergrunds entschied man sich für eine Drainage mit anschließender Aktivkohlebehandlung des Sickerwassers[7] oder für den Abtragung und Deponierung des Oberbodens (siehe Bilder).

Im November 2006 haben Untersuchungen an der Kläranlage in Rhede gezeigt, dass im Zulauf der Kläranlage hohe Gehalte an PFT im Abwasser vorhanden sind. Auch im Ablauf der Kläranlage wurden noch deutlich erhöhte Konzentrationen gemessen. Diese Untersuchungen lassen vermuten, dass sich PFT im Klärschlamm anreichert.[8]

Auf Grund der breiten Anwendung gelangen perfluorierte Tenside auch über kommunale Kläranlagen in die Umwelt und sind insbesondere unterhalb von Siedlungsschwerpunkten an vergleichsweise abflussschwachen Vorflutern aufspürbar. Ein Beispiel dafür ist die Itter unterhalb von Solingen, in der bis zu 0,7 µg/l PFT nachgewiesen wurden.[9]

Harald Friedrich, damals zuständiger Abteilungsleiter im Umweltministerium schlug aufgrund der möglichen Vorbelastung des Ruhrwassers vor, die Aufbereitung des daraus gewonnenen Trinkwassers in den Wasserwerken an der Ruhr durch weitere Maßnahmen grundsätzlich zu verbessern.

Die PFT-Fracht der Ruhr bei Essen wurden für die Summe von PFOA und PFOS im Jahresmittel 2009 nur 0,044 Mikrogramm pro Liter ermittelt. Im Vergleich zu 2007 nahm die mittlere Tagesfracht an der Ruhrmündung um insgesamt 59 Prozent ab. [10]

Bayern

Auffällige PFT-Werte wurden im Jahr 2006 auch in Südostoberbayern unterhalb der wasserrechtlich genehmigten Einleitung aus dem Industriepark Werk Gendorf in die Alz gemessen (Summe PFT etwa 8 µg/L, davon PFOA 7,5 µg/L). Entsprechend der weiteren Verdünnung wurden für PFOA stromabwärts am Inn und an der Donau noch Konzentrationen von 0,1 bzw. 0,05 µg/L gemessen.[11]

Für den Baubeginn der Nordanbindung des Nürnberger Flughafens an die Autobahn A3 (Bundesstraße 4f) mit Untertunnelung der Start- und Landebahn hat die Regierung von Mittelfranken in ihrer Planfeststellung vom 15. Februar 2012 zur Auflage gemacht, dass der Bau keine Einfluss auf die im Flughafenbereich gefundenen PFT-Rückstände hat. Die beim Tunnelbau vorgesehene Absenkung des Grundwasserspiegels um 22 Meter erfordert umfangreiche Wasserumleitungsmaßnahmen. Damit ist eine Verfrachtung der im Boden befindlichen PFT-Rückstände nicht auszuschließen. Diese entstanden durch Versickerung von Löschschaum bei Feuerwehrübungen auf dem Flughafengelände. Da zunächst Verfahren zur Beseitigung der PFT im Boden gefunden und erprobt werden müssen, kann sich der Baubeginn um viele Jahre verzögern.[12]

2012 wurden auch im Badesee Stoibermühle nördlich des Flughafens München sowie im Lindacher See nördlich des Fliegerhorstes Ingolstadt/Manching erhöhte Werte von PFT nachgewiesen.[13]

Saarland

Eine erhöhte PFT-Belastung durch einen Löschmitteleintrag wurde auch in einem Fischweiher und Vorfluter festgestellt, die im Saarland nach einem „normalen“ Löscheinsatz beobachtet wurden.[14]

Klärung PFT-kontaminierter Abwässer

PFT wird in normalen Kläranlagen nicht abgebaut. Diese basieren vor allem auf biologischem Abbau durch Mikroorganismen, die das PFT jedoch nicht verstoffwechseln können. Das PFT gelangt so unvermindert in den Vorfluter und den Klärschlamm. Die einzige Möglichkeit, PFT vollständig aus dem Wasser zu entfernen, ist, das Abwasser über Aktivkohle zu filtern. Verursacherermittlungen zur Herkunft der im Abwasser enthaltenen PFTs sind schwierig. Ein mit sehr gutem Erfolg bislang eingesetztes Passivsammlerverfahren ist bei Günther et al. (2009) beschrieben.

PFT in Muttermilch und Nahrung

Eine 2006 von Greenpeace in Auftrag gegebene und vom Fraunhofer IME[15] durchgeführte Studie an Pommes frites in mehreren deutschen Städten zeigte einer breiten Öffentlichkeit das Vorkommen von PFT auch in Lebensmitteln. Zuvor hatte das Institut in einer Pilotstudie PFT in der Muttermilch nachgewiesen.[16] Internationale Studien zeigen, dass Lebensmittel auf Fischbasis vergleichsweise hohe Gehalte an PFOS, PFHxS und Perfluorcarbonsäuren aufweisen.[17][18][19][20][21]

Die Aufnahme über Nahrungsmittel scheint aufgrund der langen Halbwertszeit im menschlichen Körper die PFT-Blutgehalte der Durchschnittsbevölkerung im unteren ppb-Bereich erklären zu können. Die den Studien zugrunde liegenden Rechenmodelle weisen allerdings hohe Unsicherheiten auf und können nicht ausschließen, dass auch weitere Quellen signifikant zur Belastung des Menschen beitragen.[22][23]

Kontakt durch militärische Nutzung

Es gibt Theorien, wonach perfluorierte Tenside Bestandteil des von der NATO verwendeten Universaltreibstoffs JP-8 sind und dort als Trägersubstanz für Additive dienen. Es wird der Verdacht geäußert, dass dieser Treibstoff im Zusammenhang mit multipler Chemikalienunverträglichkeit steht.[24]

Verbote

Auf einen Vorschlag der Europäischen Kommission hat der Umweltausschuss des Europaparlaments am 13. Juli 2006 eine Ausweitung des Verbots von perfluorierten Tensiden beschlossen.[6] Die Europäische Kommission hatte zunächst eine Grenze von 0,1 Prozent vorgeschlagen.[25]

Mit der am 26. Oktober 2007 in Kraft getretenen 11. Verordnung zur Änderung chemikalienrechtlicher Verordnungen gemäß der Richtlinie 2006/122/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 dürfen ab 27. Juni 2008 Perfluoroktansulfonate (PFOS; Perfluoroktansulfonsäure, -metallsalze, -halogenide, -amide und andere Derivate einschließlich Polymere) und Zubereitungen mit einem Massengehalt von 0,005 % PFOS oder mehr mit wenigen Ausnahmen nicht mehr verwendet werden.

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Marc Fricke und Uwe Lahl (BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit): Risikobewertung von Perfluortensiden als Beitrag zur aktuellen Diskussion zum REACH-Dossier der EU-Kommission, in: Zeitschrift für Umweltchemie und Ökotoxikologie (UWSF), Jahrgang 17, Vol. 1, S. 36–49, 2005. ISSN 0934-3504
  2. David A. Ellis, Scott A. Mabury, Jonathan W. Martin and Derek C. G. Muir (2001): Thermolysis of fluoropolymers as a potential source of halogenated organic acids in the environment. In: Nature 412, S. 321–324. doi:10.1038/35085548
  3. taz-Artikel über PFT in Muttermilch und in den Flüssen Ruhr und Möhne
  4. Uni-Protokolle: Perfluorierte Tenside in Ruhr und Möhne gefunden Meldung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 12. Juni 2006
  5. Hans-Jörg Heims: Gift im Fluss. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 166, S. 10, 21. Juli 2006
  6. 6,0 6,1 Bericht auf WDR online
  7. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen: Zwischenbericht über die Sanierung einer PFT-belasteten Fläche in Scharfenberg, Hochsauerlandkreis, Stand Mai 2009
  8. Umweltministerium NRW, Pressemitteilung vom 22. November 2006
  9. Bericht in der Rheinischen Post Itter: dreckig, aber ungefährlich
  10. Pressemitteilung zum Ruhrgütebericht 2009
  11. Informationen des bayer. LFU: Perfluorierte Tenside – PFT
  12. Pressemitteilung der Regierung von Mittelfranken zur Planfeststellung
  13. Industriechemikalien belasten Bayerns Seen Webpräsenz des Bayerischen Rundfunks
  14. Pressemitteilung des Umweltministeriums im Saarland: Folgen des Brandes in St. Wendel
  15. greenpeace.de: PFT in Pommes]
  16. ime.fraunhofer.de: PFT in Muttermilch
  17. Van Leeuwen et al. (2006). Perfluorinated compounds in edible Dutch fish: a source for human exposure. Organohalogen Compounds 2006, 68.
  18. Van de Vijver et al. (2003): Exposure patterns of perfluorooctane sulfonate in aquatic invertebrates from the Western Scheldt estuary and the sou-thern North Sea. Environmental toxicology and chemistry, 22:9(2003), p. 2037–2041
  19. Hoff et al. (2005): Perfluorooctane sulfonic acid and organohalogen pollutants in liver of three freshwater fish species in Flanders (Belgium): relationships with biochemical and organismal effects. Environmental pollution, 137:2(2005), p. 324–333.
  20. Gulkowska et al. (2007): Persistent perfluorinated acids in seafood collected from two cities of China. Environmental Science & Technology 40, S. 3736–3741.
  21. Gruber et al. (2007): Analysis of sub-ppb levels of perfluorooctanoic acid (PFOA) and perfluorooctanesulfonate (PFOS) in food and fish. Organohalogen Compounds 2007, 69.
  22. Tittlemier et al. (2007): Dietary exposure of Canadians to perfluorinated carboxyla-tes and perfluorooctane sulfonate via consumption of meat, fish, fast foods, and food items prepared in their packaging. Journal of Agricultural and Food Chemistry 55, S. 3203–3210.
  23. Fromme et al. (2007): Exposure of an adult population to perfluorinated substances using duplicate diet portions and biomonitoring data. Environmental Science & Technology 2007; 41(22), pp 7928–7933.
  24. Marion Hahn: Krank durch NATO-Treibstoff? Neues zu einer umstrittenen Theorie. In: umwelt medizin gesellschaft 16 4/2003. ISSN 1437-2606 online (PDF, 42 KB)
  25. sauerlandthemen.de (17. Oktober 2006): EU Institutionen einigen sich auf Verschärfung der PFT Verbote

Weblinks

 Commons: Perfluorierte Substanzen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

cosmos-indirekt.de: News der letzten Tage