Calciumcyanamid

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Strukturformel
$ \mathrm {Ca^{2+}\;[^{-}N{=}C{=}N^{-}]} $
Allgemeines
Name Calciumcyanamid
Andere Namen

Kalkstickstoff

Summenformel CaCN2
CAS-Nummer 156-62-7
PubChem 4685067
Kurzbeschreibung

farblose, hexagonale Kristalle[1]

Eigenschaften
Molare Masse 80,11 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

2,29 g·cm−3 (20 °C)[2]

Schmelzpunkt

1340 °C[2]

Siedepunkt

sublimiert ab 1150 °C[2]

Löslichkeit

mit Wasser Hydrolyse[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
05 – Ätzend 07 – Achtung

Gefahr

H- und P-Sätze H: 302-335-318
P: 231+232-​301+310-​305+351+338-​321-​405-​501Vorlage:P-Sätze/Wartung/mehr als 5 Sätze [2]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [4] aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
Gesundheitsschädlich
Gesundheits-
schädlich
(Xn)
R- und S-Sätze R: 22-37-41
S: (2)-22-26-36/37/39
MAK

1 mg·m−3[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Calciumcyanamid ist auch bekannt als Kalkstickstoff. Diesen Handelsnamen schlugen 1901 Albert Frank (Sohn von Adolph Frank) und H. Freudenberg vor. Beide leiteten von 1899 bis 1908 die Cyanidgesellschaft mbH Berlin.

Geschichte

Auf ihrer Suche nach einem neuen Verfahren zur Herstellung von Cyaniden zur Goldgewinnung mittels Cyanidlaugung entdeckten Adolph Frank und Nikodem Caro die Eigenschaft von Erdalkalicarbiden, bei hohen Temperaturen atmosphärischen Stickstoff aufzunehmen.[5] Fritz Rothe, einem Mitarbeiter von Frank und Caro, gelang es 1898, Probleme bei der Verwendung von Calciumcarbid zu überwinden und zu klären, dass bei der Reaktion bei ca. 1100 °C kein Calciumcyanid, sondern Calciumcyanamid (Kalkstickstoff) gebildet wird. Tatsächlich lässt sich aus Calciumcyanamid durch Schmelzen mit Natriumchlorid in Gegenwart von Kohlenstoff auch das eigentliche Zielprodukt Natriumcyanid gewinnen:[6]

$ \mathrm {CaCN_{2}+2\ NaCl+C\longrightarrow \ 2\ NaCN+CaCl_{2}} $

Frank und Caro entwickelten den wegen der hohen Temperaturen apparativ schwierigen Prozess der Kalkstickstoffsynthese - insbesondere durch den Verfahrensschritt der Initialzündung - zu einem großtechnisch handhabbaren kontinuierlichen Herstellungsverfahren. Im Jahr 1901 ließ sich Ferdinand Eduard Polzeniusz ein Verfahren patentieren, das Calciumcarbid in Gegenwart von 10 % Calciumchlorid bei 700 °C zu Kalkstickstoff umsetzt. Der Vorteil einer um ca. 400 °C niedrigeren Reaktionstemperatur wird jedoch durch den hohen Calciumchloridzusatz und die diskontinuierliche Prozessführung relativiert. Gleichwohl haben sich beide Prozesse, das Rothe-Frank-Caro-Verfahren und das Polzeniusz-Krauss-Verfahren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert. Im Rekordjahr 1945 wurden weltweit insgesamt ca. 1,5 Mio. Tonnen nach beiden Verfahren hergestellt.[7] Frank und Caro stellten auch die Bildung von Ammoniak aus Kalkstickstoff fest.[8]

$ \mathrm {CaCN_{2}+3\ H_{2}O\longrightarrow \ 2\ NH_{3}+CaCO_{3}} $

Albert Frank erkannte die fundamentale Bedeutung dieser Reaktion als technischen Durchbruch bei der Bereitstellung von Ammoniak aus Luftstickstoff und empfahl im Jahr 1901 Calciumcyanamid als Stickstoffdünger. Zwischen 1908 und 1919 wurden in Deutschland fünf Kalkstickstoffwerke mit einer Gesamtkapazität von 500.000 Jahrestonnen aufgebaut, da Calciumcyanamid als damals billigster Stickstoffdünger mit zusätzlicher Wirksamkeit gegen Unkräuter und Pflanzenschädlinge große Vorteile gegenüber herkömmlichen Stickstoffdüngern aufwies. Durch die großtechnische Umsetzung der Ammoniak-Direktsynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren erwuchs dem sehr energieintensiven Frank-Caro-Verfahren schon bald ernsthafte Konkurrenz. Der spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich stickstoffreichere (46 % gegenüber ca. 20 % N-Gehalt), billiger verfügbare und schneller wirksame Harnstoff reduzierte Calciumcyanamid allmählich zum multifunktionalen Stickstoffdünger in Nischenanwendungen. Die schmutzig-schwarze Farbe des stark staubenden, Augen und Schleimhäute reizenden Kalkstickstoffpulvers, sowie die erforderliche strikte Alkoholabstinenz des Anwenders vor, während und unmittelbar nach der Anwendung von Calciumcyanamid trugen nicht unerheblich zum Popularitätsverlust des Kalkstickstoffs bei.

Darstellung

Es lässt sich durch exotherme Azotierung von Calciumcarbid bei 1000 °C herstellen.[1] Als Zwischenprodukt entsteht dabei Calciumcyanid. Da die Reaktion exotherm ist, lässt sie sich durch Initialzündung einer kleinen Menge mittels elektrischer Heizstäbe einleiten:

$ \mathrm {CaC_{2}+N_{2}\longrightarrow \ Ca(CN)_{2}} $
$ \mathrm {\longrightarrow \ Ca^{2+}\ ^{-}N=C=N^{-}\ +C} $

Das technische Verfahren verwendet in einer modernen Variante ein Gemisch aus ca. 80 Gew.% Calciumcarbid, 20 Gew.% Kalkstickstoff und < 1 Gew.% Calciumfluorid als Reaktionsbeschleuniger. Die Reaktion verläuft in einem Drehofen bei 1050 °C unter Stickstoff in einer Azotierausbeute von > 93 %, einem Restcarbidgehalt von ca. 0,1 % und einem N-Gehalt des erzeugten Kalkstickstoffs von > 24,5 %.[9] Steht eine billige Harnstoffquelle zur Verfügung, kann auch ein bei wesentlich niedrigeren Temperaturen ablaufender Zweistufenprozess zur Herstellung von Kalkstickstoff genutzt werden. Im ersten Schritt wird dabei aus Harnstoff und Calciumoxid bei ca. 250 °C Calciumcyanat erzeugt, das im zweiten Schritt bei ca. 750 °C zu reinem Calciumcyanamid in bis zu 97%iger Ausbeute und einem N-Gehalt des erzeugten Kalkstickstoffs von bis zu 34 % umgesetzt wird.[10]

Verwendung

Calciumcyanamid ist, gereinigt von Calciumcarbid, als Düngemittel Kalkstickstoff im Handel. Es dient als Ausgangsstoff für die Synthese von Cyanamid, Dicyandiamid, Melamin, Thioharnstoff oder Guanidinen.

Kalkstickstoff gehört zu den in der Europäischen Union zugelassenen Düngemitteln und hat wegen des im Zuge der Umsetzung zu pflanzenverfügbaren Stickstoffformen entstehenden Cyanamids eine abtötende Wirkung auf verschiedene Unkräuter, tierische Schädlinge, Weideparasiten sowie Plasmodien von Plasmodiophora brassicae. Für letzteren Einsatzzweck war Kalkstickstoff in den 1980er-Jahren von der seinerzeit noch für die Pflanzenschutzmittelzulassung verantwortlichen Biologischen Bundesanstalt als Pflanzenschutzmittel zugelassen.

Eigenschaften

Handelsübliches Calciumcyanamid ist meist noch mit Kohlenstoff, Calciumoxid, Eisen und Aluminium verunreinigt. Es hat dann gewöhnlich eine graue bis schwarze Farbe. Beim Lösen in Wasser zersetzt es sich.

Sicherheitshinweise

Calciumcyanamid kann in Verbindung mit Ethanol zu Hyperämie der Haut, Schwindel und Atemnot führen. Auslöser der Alkoholunverträglichkeitsreaktion ist das im Körper gebildete Cyanamid, das wie das als Alkoholaversivum eingesetzte Disulfiram durch Hemmung der Acetaldehyddehydrogenase die Anhäufung des toxischen Acetaldehyds im Blutkreislauf induziert.[11] Dies ist als Kalkstickstoff-Krankheit bekannt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Römpp Online - Version 3.5, 2009, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Eintrag zu Calciumcyanamid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 28.12.2007 (JavaScript erforderlich)
  3. 3,0 3,1 Eintrag aus der CLP-Verordnung zu CAS-Nr. 156-62-7 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich)
  4. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  5. Deutsches Reichspatent DRP 88363, „Verfahren zur Darstellung von Cyanverbindungen aus Carbiden“, Erfinder: A. Frank, N. Caro, erteilt am 31. März 1895.
  6. H.H. Franck, W. Burg, Zeitschrift für Elektrochemie und angewandte physikalische Chemie, 40(10), 686-692 (Oktober 1934).
  7. ACS Chemical Landmarks 1998, "Discovery of the commercial processes for making calcium carbide and acetylene"
  8. Angewandte Chemie, Band 29, Ausgabe 16, Seite R97, 25. Februar 1916)
  9. DE-Patent 3705049C2, Anmelder: SKW Trostberg AG, erteilt am 1. August 1991)
  10. US-Patent 5,753,199, Anmelder: SKW Trostberg AG, erteilt am 19. Mai 1998)
  11. „Aversionsmittel stärken langfristige Alkoholabstinenz“, Forschungsmeldung der Max-Planck-Gesellschaft, 9. Januar 2006

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