ITER

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ITER (Apronym: englisch für International Thermonuclear Experimental Reactor, lateinisch für Weg) ist ein im Bau befindlicher Kernfusionsreaktor, mit dem notwendige Erkenntnisse auf dem Weg zu vielleicht möglichen Fusionskraftwerken gewonnen werden sollen. Der Reaktor mit vielfältigen Installationen zur Plasmaheizung und -diagnostik basiert auf dem Tokamak-Konzept. Er wird im Vergleich zu seinem Vorgänger JET wesentlich größer und mit supraleitenden Magnetspulen ausgestattet. Das erste Plasma soll 2020 erzeugt werden, ab 2027 sind Experimente mit Deuterium und Tritium vorgesehen.[1] Mit ITER sollen Brenndauern von bis zu einer Stunde realisiert werden. Dabei soll eine thermische Leistung von rund 500 Megawatt erreicht werden bei einer Heizleistung von etwa 50 Megawatt.[2] ITER wird jedoch keinen Strom produzieren und auch kein vollständiges Lithium-Blanket zum Erbrüten von Tritium haben. Falls sich mit ITER und parallel durchgeführter Werkstoffforschung (IFMIF) zeigen sollte, dass das Tokamak-Design in den Gigawatt-Bereich vergrößert werden kann, soll das Nachfolgeprojekt DEMO ab etwa 2040 Strom ins Netz einspeisen und einen geschlossenen Tritium-Kreislauf demonstrieren.[3] Möglicherweise lässt sich mit DEMO dann schon etwas verlässlicher abschätzen, ob Fusionskraftwerke wirtschaftlich sein können.[4]

ITER wird im Forschungszentrum Cadarache als gemeinsames Forschungsprojekt der sieben gleichberechtigten Partner Europäische Atomgemeinschaft, Japan, Russland, Volksrepublik China, Südkorea, Indien und USA entwickelt, gebaut und betrieben. Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem Projekt ausgestiegen, Kanada ist seit 2004 nicht mehr dabei. Zwischen der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und dem ITER-Projekt wurde 2008 eine Zusammenarbeit auf Expertenebene vereinbart.[5] Frankreichs Ex-Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete das Vorhaben als das größte Wissenschaftsprojekt seit der Internationalen Raumstation.

Physikalisch-technische Grundlagen

Hauptartikel: Kernfusion
Deuterium-Tritium-Fusion

Wie in der Sonne und anderen Sternen wird bei der Kernfusion Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Dabei setzt ein Gramm Wasserstoff etwa dieselbe Menge an Energie frei wie die Verbrennung von acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle. In der Sonne laufen die Fusionsprozesse hauptsächlich nach der Proton-Proton-Kette ab, zu einem kleinen Prozentsatz auch nach dem Bethe-Weizsäcker-Zyklus. Dabei wird das häufigste Wasserstoffisotop Protium (1H) verschmolzen.

Beim ITER werden die wesentlich selteneren Isotope Deuterium und Tritium verwendet, so wie auch bei allen anderen Techniken und Versuchen, die Kernfusion auf der Erde als Energiequelle zu nutzen:

$ \mathrm {T+D=\!^{3}H+\!^{2}H\to \!^{4}He+n+17{,}6\,MeV} $

Tritium (T) ist aufgrund der kurzen Halbwertzeit von ca. 12,3 Jahren auf der Erde nur in Spuren vorhanden und muss zunächst in Schwerwasserreaktoren vom Typ CANDU gewonnen werden. Im ITER soll eine Technik erprobt werden, Tritium in den Reaktoranlagen aus dem reichlich vorhandenen Element Lithium zu erbrüten (siehe Blanket).

Technik

ITER funktioniert nach dem Tokamak-Prinzip. Mit Hilfe von aus Supraleitern bestehenden Magnetspulen wird ein toroidales Magnetfeld erzeugt. In diesem Magnetfeld befindet sich ein Deuterium-Tritium-Plasma, in das nach dem Prinzip des Transformators ein elektrischer Strom induziert wird. Der Strom wirkt seinerseits wiederum durch sein eigenes Magnetfeld auf das Plasma zurück. Diese Einschlussmethode erlaubt es, ein Plasma genügender Dichte so aufzuheizen, dass die Fusionsreaktion zündet. Die entstehenden schnellen Neutronen tragen etwa 80 % der Fusionsleistung aus dem Plasma fort und deponieren einen möglichst großen Teil davon im Blanket, das in zukünftigen Kraftwerksreaktoren mit einem Dampferzeuger gekoppelt wäre, hier aber bloß gekühlt wird. Die restlichen 20 % der Fusionsleistung stecken in der Rückstoßenergie der Heliumkerne, die schnell thermalisieren, also ihre Energie an das Plasma abgeben. Bei nun höherer Temperatur als vor dem Zünden (die Wand wird intensiv gekühlt, um die Bremsstrahlung auszuhalten) „brennt“ das Plasma nun mit viel geringerer fremder Heizleistung weiter. Einrichtungen, die vorher der Heizung dienten, werden nun eingesetzt, den Ringstrom aufrecht zu erhalten und um die Geometrie des Plasmas so zu stabilisieren, dass das Abführen der Helium-Asche und der Verunreinigungen von der Wand über die Divertoren funktioniert. Das muss im sogenannten H-Modus 400 Sekunden lang gelingen, damit ITER in dieser Hinsicht als erfolgreich gilt. Dabei soll mit rund 50 MW Heizleistung eine etwa 10-fache Leistungsverstärkung, also eine Fusionsleistung von etwa 500 MW erreicht werden. In einem anderen Betriebsmodus sind Brenndauern von bis zu einer Stunde vorgesehen bei einer Leistungsverstärkung von mindestens 5. Kurzzeitig soll eine Leistungsverstärkung von über 30 erprobt werden, wie sie für kommerzielle Reaktoren nötig ist.[6]

Der Reaktor wird zunächst mit normalem Wasserstoff und Helium arbeiten, um die Stabilisierung des Plasmas zu erforschen, der Betrieb mit Deuterium und Tritium ist erst ab 2027 geplant. Für die Erprobung der Blankettechnologie zur Gewinnung von Tritium aus emittierten Neutronen und Lithium sind drei Testflansche vorgesehen, an denen gleichzeitig sechs verschiedene Konstruktionen getestet werden können.

Schnitt durch den Reaktor des ITER

Zusammenfassung der technischen Eckdaten:

Gesamtradius 10,7 Meter
Gesamthöhe 30 Meter
Großer Plasmaradius 6,2 Meter
Plasmavolumen 837 Kubikmeter
Masse des Plasmas 0,5 Gramm
Magnetfeld 5,3 Tesla
Maximaler Plasmastrom 15 Megaampere
Heizleistung und Stromtrieb 73 Megawatt
Fusionsleistung rund 500 Megawatt
Energieverstärkung rund 10x
Mittlere Temperatur 100 Millionen Grad Celsius
Brenndauer jedes Pulses > 400 Sekunden

Standort

ITER (Frankreich)
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Lage von Cadarache, Frankreich

Seit 2001 wurde über einen Standort für den ITER beraten. Standortbewerbungen kamen aus Frankreich, Spanien, Japan und Kanada. 2005 konkurrierten noch Frankreich mit Cadarache und Japan mit Rokkasho um den Standort. Während die USA, Japan und Südkorea den Standort Rokkasho bevorzugten, stimmten die Europäische Atomgemeinschaft, die Volksrepublik China und Russland für Cadarache. Am 28. Juni 2005 entschieden die beteiligten Staaten, den Versuchsreaktor im französischen Cadarache zu erstellen. Bei der Zustimmung Japans spielten aber nicht nur sachliche Abwägungen, sondern auch außenpolitische Aspekte eine Rolle. Des Weiteren wurden Japan Sonderkonditionen eingeräumt für den Fall, dass der Reaktor in Europa gebaut werden sollte. Bereits im November 2004 hatte der EU-Ministerrat für die EURATOM einstimmig beschlossen, ITER in Cadarache zu bauen, notfalls auch ohne die Beteiligung Japans, Südkoreas und der USA.

Nachdem Japan seine Bewerbung zurückgezogen hatte, einigten sich die Teilnehmer letztendlich auf den Standort Cadarache in Südfrankreich, etwa 35 km nordöstlich von Aix-en-Provence. Am 24. Mai 2006 wurde der Vertrag von den Regierungen aller Projektpartner unterzeichnet. Frankreich verpflichtete sich hierin zu umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur wie Straßen, Stromversorgung, Datenleitungen sowie Wohnungen für die zukünftigen Forscher und deren Familien.

Für den Bau des ITER gab es bis 2003 auch eine inoffizielle deutsche Bewerbung mit dem ehemaligen Kernkraftwerk „Bruno Leuschner“ Greifswald in Lubmin bei Greifswald. Damit wären die Anlagen für das weltgrößte Tokamak-Experiment in direkter Nachbarschaft zur Baustelle des weltgrößten Stellarator-Experiments errichtet worden. Der ITER-Förderverband Region Greifswald unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Alfred Gomolka reichte 2002 eine vollständige Standortbewerbung bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ein. Diese wurde jedoch vom zuständigen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff nicht weitergeleitet. Im Sommer des Jahres 2003 zog Bundeskanzler Gerhard Schröder die Zusage des ehemaligen Kanzlers Helmut Kohl zur Bewerbung um den ITER-Standort zurück. Bis dahin war Lubmin international der erfolgversprechendste Konkurrent, vor allem auch da der nun festgelegte Standort Cadarache in Frankreich ein Erdbeben-Risikogebiet ist, ebenso wie der dritte in Betracht gezogene japanische Standort.

Finanzierung

Am 21. November 2006 unterzeichneten die Projektteilnehmer im Elyséepalast in Paris den endgültigen Vertrag, der auch die Finanzierung des Baus regelt. Teilnehmerstaaten sind neben der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) die Staaten China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA. Der Vertrag trat am 24. Oktober 2007 in Kraft. Als Ausgleich für die Wahl eines europäischen Standortes wurde Japan ein mindestens zehnprozentiger Anteil an den Aufträgen zur Ausstattung des Reaktors sowie die Förderung japanischer Forschung aus Mitteln der EURATOM zugesagt.

Während der Bauphase trägt die Europäische Union bzw. EURATOM 5/11 der Gesamtkosten (etwa 45 %), wovon Frankreich 40 % aufbringt (2/11 der Gesamtkosten). Die übrigen sechs Projektpartner tragen jeweils 1/11 der Gesamtkosten (etwa 9 %) und stellen damit die verbleibenden 6/11 der Mittel. Ein Teil davon wird von jeder Partei als Sachleistung erbracht, die unabhängig von den endgültigen Kosten der Beschaffung und Lieferung zu erbringen sind. Die Kosten des Betriebs und der Deaktivierung werden zu 34 % von EURATOM getragen.[7]

Die Errichtung sollte zunächst gut 5,5 Mrd. Euro kosten (5,896 Mrd. EUR in Preisen des Jahres 2008). Im September 2008 erklärte der stellvertretende ITER-Direktor Norbert Holtkamp auf dem 25. Symposium zur Fusionstechnologie in Rostock, dass die ursprünglich geplanten Kosten um mindestens 10 Prozent steigen würden, eventuell sogar um 100 Prozent. Zurückzuführen sei dies auf die stark gestiegenen Preise für Rohstoffe und Energie sowie teure technische Weiterentwicklungen.[8]

Im Mai 2010 teilte die Europäische Kommission mit, dass laut einer aktuellen Kostenschätzung ihr Anteil an den Baukosten von ehemals geplanten 2,7 Milliarden Euro auf 7,3 Milliarden Euro steigen wird. Daraus errechnen sich Gesamtkosten in Höhe von 16 Milliarden Euro.[7] Die EU deckelte daraufhin ihren Anteil bei 6,6 Milliarden Euro. Sie will die Kostensteigerungen durch Umschichtungen aus dem Agrar- und dem Forschungsetat decken.

Projekthistorie

Initiierung durch die Sowjetunion

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ehemaliges Logo

Bei Gesprächen mit den Präsidenten Frankreichs und der USA, François Mitterrand und Ronald Reagan, wurden 1985 aufgrund eines Vorschlages des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow eine Zusammenarbeit bei der Kernfusions-Forschung und der gemeinsame Bau eines Reaktors beschlossen.[9] Die Planungen begannen 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und führten 1990 zu einem ersten Entwurf des Versuchsreaktors.

ITER-Vertrag

Die teilnehmenden Parteien gaben am 28. Juni 2005 nach langen Verhandlungen den Startschuss für den Bau von ITER. Der Beschluss umfasst den Bau eines Versuchsreaktors in Cadarache in Südfrankreich für insgesamt knapp 5 Milliarden Euro. Die Betriebskosten über die geplante Laufzeit des Reaktors von 20 Jahren werden ähnlich hoch sein. Am 21. November 2006 wurde in Paris der ITER-Vertrag von den sieben Partnern unter Teilnahme des damaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac unterzeichnet. Gleichzeitig fand die erste Sitzung des ITER Interim Council statt. Der Vertrag trat am 24. Oktober 2007 in Kraft, 30 Tage nachdem er vom letzten Vertragspartner China ratifiziert worden war.

Organisation

Jeder der sieben Partner richtet eine eigene nationale Behörde ein, welche die Aufgabe hat, die vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Landes gegenüber ITER zu erfüllen. Für die Europäische Atomgemeinschaft fällt diese Aufgabe der neu gegründeten Agentur Fusion for Energy – The European Joint Undertaking for ITER and the Development for Fusion Energy mit Sitz in Barcelona zu. Das Aufsichtsgremium ITER-Council hat seinen Sitz in Moskau.

Von deutscher Seite am Projekt beteiligt sind das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, das Institut für Plasmaphysik (IPP) am Forschungszentrum Jülich und verschiedene Institute des KIT. Weitere wissenschaftliche Zentren liegen in San Diego (USA) und Naka (Japan).

Baumaßnahmen

Der Bau wurde im Jahre 2009 begonnen. Anfang 2013 waren das Fundament, die schwingungsdämpfenden Sockel für die Bodenplatte sowie die Gebäude des Kontroll- und Verwaltungszentrums fertig.[10] Die Inbetriebnahme des Reaktors mit einem Wasserstoffplasma ist Ende 2020vorbei vorgesehen.[11] Ab 2027Vorlage:WarnungVorlage:Zukunft/Ohne Kategorie soll ITER mit einem Deuterium-Tritium-Plasma betrieben werden und damit eine Fusionsleistung erreichen, welche um einen Faktor 10 über der Heizleistung liegt.[12]

Literatur

  • Daniel Clery: „ITER’s $12 Billion Gamble“, in: Science 314, 2006, S. 238–242. doi:10.1126/science.314.5797.238
  • Rüdiger von Preuschen-Liebenstein: „Internationale ITER-Fusionsenergieorganisation: Wegbereiterin der Energieerzeugung durch Kernverschmelzung“ in: atw 2006,S. 622-625
  • N. Holtkamp: „An overview of the ITER project“, in: Fusion Engineering and Design 82, 2007, S. 427–434. doi:10.1016/j.fusengdes.2007.03.029

Einzelnachweise

  1. Webseite des Projekts ITER. Abgerufen am 1. Januar 2013 (englisch).
  2. From experiment to power plant. European Fusion Development Agreement, abgerufen am 30. Dezember 2012 (englisch).
  3. iter.org: ITER & Beyond, 2013, abgerufen 2. Jan. 2013.
  4. mdcampbell.com (ITER-Planungsbüro): Beyond ITER (PDF-Datei; 278 kB), updated 2005. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  5. ITER, IAEA sign deal to move nuclear fusion research forward. In: Energy Daily, 13. Oktober 2008. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  6. R. A. Pitts (ITER, Plasma Operations): The ITER Project, 2010.
  7. 7,0 7,1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: ITER: aktueller Stand und Zukunftsperspektiven (PDF-Datei; 60 kB), Brüssel, 4. Mai 2010, KOM(2010) 226 endgültig. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  8. Milliardenprojekt in Finanznot. Fusionsreaktor Iter wird deutlich teurer. Handelsblatt, 15. September 2008. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  9. History and current situation. Abgerufen am 9. November 2011 (english).
  10. Foto von der Baustelle, Dez. 2012.
  11. ITER Dodges Trouble With Superconducting Cables (27. Februar 2012)
  12. Physik Journal :: Hürde aus dem Weg geräumt :: pro-physik.de

Weblinks

 Commons: ITER – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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  • ITER. The ITER Organization, abgerufen am 3. August 2008 (englisch, offizielle Homepage des Projekts).
  • IPP-Projekte: ITER. Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., abgerufen am 3. August 2008.
  • Forschung für ITER. Forschungszentrum Jülich GmbH, abgerufen am 3. August 2008.



43.68755.7619444444444Koordinaten:

43° 41′ 15″ N, 5° 45′ 43″ O

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