Funktionelle Gruppe

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In der Chemie versteht man unter funktionellen Gruppen (auch charakteristische Gruppen) Atomgruppen in organischen Verbindungen, die die Stoffeigenschaften und das Reaktionsverhalten der sie tragenden Verbindungen maßgeblich bestimmen.[1] Chemische Verbindungen, die die gleichen funktionellen Gruppen tragen, werden auf Grund ihrer oft ähnlichen Eigenschaften zu Stoffklassen zusammengefasst.

Funktionelle Gruppen werden anhand der beteiligten Atome in funktionelle Gruppen mit Heteroatomen (z. B. Ether) und solche ohne Heteroatome (z. B. C=C-Doppelbindungen, C≡C-Dreifachbindungen oder Aromaten) eingeteilt. Letztere werden manchmal nicht als „vollwertige“ funktionelle Gruppen betrachtet, weil sie zum einen nur als Strukturbausteine betrachtet werden, die zum anderen wenig bis gar nicht reaktiv sind.

Im Fall von anorganischen oder metallorganischen Verbindungen werden auch einfache Alkyl- oder Arylgruppen als funktionelle Gruppen angesehen. Alle organischen Seitenketten und funktionellen Gruppen werden dann unter der allgemeinen Bezeichnung Organylgruppe zusammengefasst.

Oftmals werden für diese Gruppen zur einfacheren Schreibung in Strukturformeln und Texten Abkürzungen eingeführt die in der Liste der Abkürzungen der organischen Chemie aufgelistet sind.

Eigenschaften

Wie die Definition vermuten lässt, beeinflusst eine funktionelle Gruppe die chemischen und physikalischen Eigenschaften der sie enthaltenden Ausgangsverbindung oft erheblich. Die Art der Beeinflussung durch die funktionellen Gruppen sei hier am Beispiel des Alkans n-Butan und drei seiner Derivate gezeigt:

Derivat Verbindung Summenformel Eigenschaften
Ausgangsverbindung n-Butan H3C–CH2–CH2–CH3 gasförmig
Carboxyverbindung Butansäure, auch Buttersäure H3C–CH2–CH2–COOH flüssig, übelriechend, reagiert sauer
Aminoverbindung Butan-2-amin, auch 2-Butylamin H3C–CH(NH2)–CH2–CH3 flüssig, übelriechend, reagiert basisch
Carboxy- und Aminoverbindung 4-Aminobutansäure, auch 4-Aminobuttersäure oder γ-Aminobuttersäure (GABA) H2N–CH2–CH2–CH2–COOH fest, liegt in wässriger Lösung als Zwitterion H3N+–CH2–CH2–CH2–COO vor

Verschiedene funktionelle Gruppen und deren Nomenklatur

Grundsätzlich ist die substitutive Nomenklatur, die im Folgenden beschrieben wird, zur Benennung von Substanzen heranzuziehen. Nach dieser Nomenklatur ist die funktionelle Gruppe entweder als Vorsilbe (Präfix) oder als Endung (Suffix) im Namen der Gesamtverbindung enthalten.

Siehe auch: Nomenklatur

Funktionelle Gruppen (nach abnehmender Priorität geordnet)

Für die Bezeichnung dieser Gruppen in einer Verbindung werden entweder Präfixe oder Suffixe verwendet. Die ranghöchste Gruppe wird dabei als Endung verwendet und alle anderen, alphabetisch geordnet, als Vorsilben. Die verschiedenen Verbindungsklassen sind in der folgenden Tabelle nach abnehmender Priorität geordnet.[2]

Zum Teil gibt es unterschiedliche Bezeichnungen, je nachdem ob das angegebene Kohlenstoffatom einen Teil des Stammsystems (siehe Stichwort Nomenklatur) darstellt (Darstellung: R-CXYZ) oder nicht (Darstellung: R-CXYZ). Wie in der Chemie üblich, steht der Buchstabe R für einen organischen Rest.

Struktur Stoffklasse Vorsilbe (Präfix) Endung (Suffix) Beispiele
R bzw. R: Radikale „Ylo-" „-yl“
„-yliden“
z. B. Cl• oder Triplett-Carben
Kationen „-ium“
„-onium“
„-ylium“
z. B. Kationische Tenside, Methyltriphenylphosphonium
R–COOH
R–COOH
Carbonsäuren „Carboxy-"
-
„-carbonsäure“
„-säure“
z. B. Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure, Aminosäuren
R–COOOH
R–COOOH
Peroxycarbonsäuren „Hydroperoxycarbonyl-"
-
„-peroxycarbonsäure“
„-Peroxy....säure“
z. B. Peroxyessigsäure
R–CSOH

R–CSOH
R–COSH

R–COSH
R–CSSH
R–CSSH
Thiocarbonsäuren „Hydroxy(thiocarbonyl)-“
„Thiocarboxy-"
-
„Sulfanylcarbonyl-"
„Thiocarboxy-"
-
"(Dithiocarboxy)-"
-
„-carbothio-O-säure“

„-thio-O-säure“
„-carbothio-S-säure“

„-thio-S-säure“
„-carbodithiosäure“
„-dithiosäure“
R–SO3H Sulfonsäuren „Sulfo-“ „-sulfonsäure“ z. B. Benzolsulfonsäure
R–SO2H Sulfinsäuren „Sulfino-“ „-sulfinsäure“
R–S–OH Sulfensäuren „Sulfeno-“ „-sulfensäure“
R–S=OR Sulfoxide - „-sulfoxid“ z. B. Dimethylsulfoxid
R–COOM+
R–COOM+
Carbonsäuresalze „Metallcarboxylato-"
-
„Metall-...-carboxylat“
„Metall-...-oat“
z. B. Acetat
R–SO3M+ Sulfonsäuresalze „Metallsulfonato-“ „Metall-...-sulfonat“
R–SO2M+ Sulfinsäuresalze „Metallsulfinato-“ „Metall-...-sulfinat“
R–S–OM+ Sulfensäuresalze „Metallsulfenato-“ „Metall-...-sulfenat“
R–CO–O–CO–R Carbonsäureanhydride - „...säure...säureanhydrid“
bei gleichen Säuren:
„...säureanhydrid“
z. B. Essigsäureanhydrid
R–COOR
R–COOR
R-O-COR
Carbonsäureester „(R yl-)oxycarbonyl“
„(R yl-)...-carboxylat“
„(R yl-)...-oat“
-
z. B. Ethylacetat
R-SO3R Sulfonsäureester „(R yl-)oxysulfonyl-“ „(R yl-)...-sulfonat“
R-ONO2 Salpetersäureester z. B. Nitroglycerin, Nitrocellulose
R–COX
R–COX
Carbonsäurehalogenide „Halogencarbonyl-“
-
„-carbonylhalogenid“
„-oylhalogenid“
z. B. Benzoylchlorid
R–SO2X Sulfonsäurehalogenide „Halogensulfonyl-“ „-sulfonylhalogenid“
R–CONH2
R–CONH2
Carbonsäureamide „Carbamoyl-“
-
„-carboxamid“
„-amid“
R–SO2NH2 Sulfonsäureamide „Sulfamoyl-“ „-sulfonamid“
R–CONHNH2
R–CONHNH2
Carbonsäurehydrazide „ Hydrazinocarbonyl-“ „-carbohydrazid“
„-ohydrazid“
R–C≡N
R–C≡N
Nitrile „Cyano-"
-
„-carbonitril“
„-nitril“
z. B. Acetonitril
R–CHO
R–CHO
Aldehyde „Formyl-“
„Oxo-“
„-carbaldehyd“
„-al“
z. B. Formaldehyd, Acetaldehyd
R–CHS
R–CHS
Thioaldehyde „Thioformyl-"
„Thioxo-“
„-carbothialdehyd“
„-thial“
R1C=OR2 Ketone „Oxo-“ „-on“ z. B. Aceton
R1C=SR2 Thioketone „Thioxo-“ „-thion“
R=N–OH Oxime „Hydroxyimino-“ „-aloxim“
„-(carb)aldehydoxim“
„-onoxim“
R=N–NH2 Hydrazone „Hydrazono-“ „-alhydrazon“
„-(carb)aldehydhydrazon“
„-onhydrazon“
R–OH Alkohole und Phenole „Hydroxy-“ „-ol“ Alkohole
z. B. Methanol, Ethanol, Isopropanol, Phenol
R–SH Thiole „Sulfanyl-“
alt: „Mercapto-“
„-thiol“
„-mercaptan“
Thioalkohole, Thiophenole
z. B. Methylmercaptan
R–NH2 Amine „Amino-“ „-amin“ z. B. Anilin, Aminosäuren
R1–C=N–R2 Imine „Imino-“ „-imin“
R–NH–NH2 Hydrazine „Hydrazino-“ „-hydrazin“
R1–O–R2 Ether „(R2yl)-oxy-“ „(R1yl)-(R2yl)-ether“ z. B. Diethylether, Dioxan
R1–S–R2 Thioether „(R2yl)-thio-“ „(R1yl)-(R2yl)-sulfid“
R1–S–CO–R2 Thiolester

Funktionelle Gruppen ohne Priorität

Grundsätzlich nur als Vorsilben (Präfixe) werden folgende funktionelle Gruppen verwendet:

Struktur Stoffklasse Vorsilbe Endung Beispiele
R–X (X = F, Cl, Br, I) Halogenkohlenwasserstoffe „Halogen-“   Fluorchlorkohlenwasserstoffe
z. B. Frigen, Chloroform
R–NO2 Nitroverbindungen „Nitro-“   Nitrite
z. B. Trinitrotoluol (TNT)
R–N=O Nitrosoverbindungen „Nitrosyl-“    
R–N=N–R Azoverbindungen „Azo-“   Azofarbstoffe
z. B. Gelborange S
R=N+=N Diazoverbindungen „Diazo-“   z. B. Diazomethan
R–N+≡N X Diazoniumsalze „Diazonium-“  
R–NC Isocyanide „Isocyan-“  
R–OCN Cyanate „Cyanato-“  
R–N=C=O Isocyanate „Isocyanato-“  
R–SCN Thiocyanate „Thiocyanato-“  
R–NCS Isothiocyanate „Isothiocyanato-“  
R–OOH Hydroperoxide „Hydroperoxy-“  
R–OOR Peroxide „(R-)dioxy-“  

Sonderfall Mehrfachbindungen

Ebenfalls zu den funktionellen Gruppen gerechnet werden die Mehrfachbindungen:

Struktur Name Vorsilbe Endung Beispiele
R–C=C–R Doppelbindung   „-en“ z. B. Ethen
R–C≡C–R Dreifachbindung   „-in“ z. B. Ethin

Aus Sicht der Nomenklatur werden Mehrfachbindungen aber im Allgemeinen als Teil des Stammsystems aufgefasst.

Alternative Nomenklatursysteme

Neben diesem Nomenklatursystem gibt es noch weitere, weniger gebräuchliche oder veraltete Nomenklatursysteme. Eines davon ist z. B. die radikofunktionelle Nomenklatur, nach der z. B. Chlormethan als Methylchlorid oder Ethanol als Ethylalkohol bezeichnet werden.

Einzelnachweise

  1.  Eintrag: functional group. In: IUPAC Compendium of Chemical Terminology (the “Gold Book”). doi:10.1351/goldbook.F02555.
  2. Rainer Beckert et al.: Organikum. 22. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2004, ISBN 3-527-31148-3, S. 137.

Literatur

  • Günter Baars, Roland Franik, Walter Jansen, Hans Pickel, Georg Schwedt, Herbert Sommerfeld: Handbuch der experimentellen Chemie: Sekundarbereich II. Band 10: Funktionelle Gruppen, Fette, Farbstoffe. (Herausgeber: Walter Jansen, Rudolf G Weissenhorn, Wolfgang Glöckner), Aulis, Hallbergmoos 2008, ISBN 978-3-7614-2388-2.
  •  Dieter Hellwinkel: Die systematische Nomenklatur der organischen Chemie: Eine Gebrauchsanweisung. 4. Auflage. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-63221-2.

Weblinks

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